Die Runen der Erde - Covenant 07
sein Sohn hat bei einem Fleischer gearbeitet. ›Hat sich nur die Zeit vertrieben‹, bis er von den Erfolgen seines Vaters leben konnte.« Sie seufzte. »Vielleicht verstehst du das alles«, schloss sie. » Ich jedenfalls kapier's nicht.«
Die Gedanken hämmerten in Lindens Kopf. Roger wollte den Platz seiner Mutter einnehmen. Und den seines Vaters. Linden lehnte sich an ihren Schreibtisch und flüsterte, halb an sich selbst gewandt: »Das nützt nicht viel.«
»Ich weiß«, seufzte Megan. »Aber mehr habe ich nicht zu bieten.«
»Er sagt, dass er die ganze Zeit nur auf den Nachlass seines Vaters gewartet hat, um Geld und ein eigenes Haus zu haben, in dem er Joan betreuen kann. Von dieser Idee ist er geradezu besessen. Vermutlich denkt er Tag und Nacht an nichts anderes. Er ist davon überzeugt, Joan erreichen zu können. Es ist nur ...«, Linden schluckte, dann stieß sie sich abrupt von der Schreibtischkante ab. »Megan, er muss gestoppt werden.« Ihre Stimme bebte. »Für mich steht das hundertprozentig fest. Etwas an ihm jagt mir Angst ein, Megan. Ich halte ihn für gefährlich. Mit seiner Vorgeschichte ...« Plötzlich war ihr kalt. »Jeder von uns kennt anständige, vernünftige Leute, die Schlimmes erlebt haben. Hier im Berenford Memorial gibt es viele, die weniger durchgemacht haben. Was den einen beugt, zerbricht den anderen. Ich glaube, dass etwas in Roger Covenant zerbrochen ist.« Sie zögerte, dann wiederholte sie leise: »Er muss gestoppt werden.«
Megans Tonfall wurde sofort energischer, geschäftsmäßiger. »Du bezeichnest ihn als gefährlich. Kannst du mir konkrete Hinweise geben? Irgendwas, mit dem ich zu einem Richter gehen kann? Ich kann kein Besuchsverbot erwirken, wenn ich nichts Handfestes vorlegen kann.«
Ein Schrei kroch Lindens Kehle empor. Erzähl ihm, dass es Tote geben wird! Aber sie beherrschte sich. »Du kannst den Richter nicht auffordern, einfach auf meinen Instinkt zu vertrauen, nehme ich an.«
»Das könnte ich sogar«, antwortete Megan. »Zumindest in dieser County. Du giltst als sehr vertrauenswürdig. Aber auch ein Richter, der große Stücke auf dich hält, würde irgendwelche Beweise sehen wollen. Auf deine Aussage hin würde er wohl ein Besuchsverbot für ein paar Tage aussprechen, aber das wäre alles. Legen wir nicht hieb- und stichfeste Beweise vor, bevor das Verbot ausläuft, wird es auf keinen Fall verlängert.«
Linden seufzte leise. »Ja, ich verstehe.« Vielleicht, so überlegte sie, sollte sie die Finger von dem Problem lassen, sich einfach nicht mehr damit befassen. Wenn sie wollte, konnte sie die Klinik in diesem Augenblick verlassen. Niemand hätte sie daran gehindert. Sie hatte weiß Gott etwas mehr Freizeit verdient. Und Joan hatte weniger Anspruch auf sie als Jeremiah. Er war ihr Adoptivsohn, und sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens. Nichts konnte ihn ersetzen. Dass er noch immer stark auf sie angewiesen war, machte ihn für Linden umso wichtiger. Allein der Gedanke an den Duft seines frisch gewaschenen Haares reichte aus, um Linden Tränen in die Augen zu treiben. Was sie bedrohte, gefährdete auch ihn aufs Äußerste. Bei jedem Angriff auf sie würde er in der Schusslinie stehen: Er war gefährdet, weil sie ihn liebte und er auf sie angewiesen war. Und er hatte schon genug durchlitten. Auf der anderen Seite aber gehörte Linden hierher, an die Seite ihrer Patienten. Ein jeder von ihnen hatte bereits genug durchlitten. Und Joan hatte nicht verdient, was Roger mit ihr vorhatte. Langsam wurde Linden wieder ruhiger. »Hast du sonst noch eine Idee?«, fragte sie.
Megan zögerte. »Na ja. Du könntest Lytton anrufen ...«
Daran hatte Linden tatsächlich bereits gedacht. Barton Lytton war seit fast drei Jahrzehnten der Sheriff der County. Wenn irgendjemand das Wissen und die Erfahrung besaß, um Roger Covenant zu stoppen, dann er. Zumindest hoffte Linden das. »Er steht als Nächster auf meiner Liste«, murmelte sie.
»Aber nimm dich bei ihm in acht, Linden«, warnte Megan. »Lytton ist nicht gerade ein Fan von dir. Er hält das Berenford Memorial nur für einen Trick der Liberalen, um Gauner vor Haftstrafen zu bewahren. Aus seiner Sicht macht dich das praktisch zu ihrer Komplizin.«
»Ich weiß.« Linden kannte Lyttons Einstellung recht gut, hoffte aber, dass er in Bezug auf Joan anders denken würde. Schließlich trug zweifellos auch er eine Mitschuld an ihrem jetzigen Zustand. Vielleicht würde er – wenn schon aus keinem anderen – aus
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