Die Runen der Erde - Covenant 07
Anker, an einen Fels der Klarheit im Strom ihrer Selbstzweifel.
Stave keuchte, als er die ihn berührende, ihn versengende Flamme fühlte, aber er sprach noch immer weiter.
»Die Ramen können nicht wissen, wie sehr die Bluthüter die Riesen geliebt haben. Sie können nicht ermessen, wie diese Ereignisse den Bluthütern das Herz zerrissen. Deshalb nehmen sie sich heraus, uns zu verachten, weil wir von der Treue abgefallen sind.«
Der unerschütterliche Gleichmut der Haruchai tarnte, wie tief ihr Entsetzen gewesen war. Er tarnte auch das Ausmaß ihres Zorns. Die Bluthüter hatten mit aller Kraft nach Erfolg gestrebt und dabei versagt. Welchen anderen Schluss hätten solche Männer aus ihrer Niederlage ziehen können, als dass sie unwürdig waren?
Kein Wunder, dass die Haruchai sich zu den Meistern des Landes aufgeschwungen hatten. So versuchten sie sicherzustellen, dass nie wieder eine Gräueltat wie das Gemetzel an den Entwurzelten sie als unwürdig bloßstellen konnte. Sie hatten Schmerz und Trauer den Rücken zugekehrt ...
Voller Verständnis und Mitgefühl schloss Linden mit sanfter Hand eines der Löcher in Staves Lungenflügel nach dem anderen. Dann griff sie mit Silbrigkeit in ihn hinein, um die Wundränder unlösbar miteinander zu verbinden.
»Auserwählte«, murmelte Stave, »hör mich an. Die Verurteilung der Haruchai kann nicht so leicht abgetan werden. Eines Tages wird es eine Abrechnung zwischen uns geben.«
Er hätte von einer Abrechnung zwischen Meistern und Ramen sprechen können; aber Linden wusste, dass Stave etwas anderes meinte.
Wilde Magie war zu grob für das, was Linden tat. Sie fügte ihm unabsichtlich Schmerzen zu, sodass er hinter zusammengebissenen Zähnen fast aufgeschrien hätte. Trotzdem versiegelte sie das Lungengewebe über jeder Punktur; danach schloss sie die drei blutenden Risse.
Unendlich behutsam, aber trotzdem außerstande, ihm quälende Schmerzen zu ersparen, ließ sie weißes Feuer über seine schlimmsten inneren Verletzungen züngeln, bis sie wieder heil waren.
Zuletzt beugte sie sich über ihn, um ihr Werk zu begutachten. Stave hatte das Bewusstsein verloren und lag totenstill da; aber er atmete jetzt leichter, und auf seinen Lippen erschien kein neues Blut mehr. Erst als Linden der Überzeugung war, er werde überleben, ließ sie Wahrnehmung und Macht und die gesamte Welt fahren.
Warum tust du das?
Hätte er sie das jetzt gefragt, wäre sie vermutlich in Tränen ausgebrochen.
*
Irgendwann später ließen von außerhalb der Wohnstätte kommende Stimmen sie aufschrecken: halblaute Stimmen, heiser von beherrschtem Zorn und Drohungen.
Als Linden den Kopf hob, stellte sie fest, dass sie neben Staves Lager kniend eingeschlafen sein musste. Ihre Arme waren noch immer neben ihm aufgestützt; etwas getrocknetes Farnkraut hing an ihrer Wange, und ihre untergeschlagenen Beine waren eingeschlafen.
Irgendwer – Bhapa? – sagte hartnäckig: »Das ist uns egal. Sie hat gesagt, dass sie nicht gestört werden will.«
»Du bist nicht blind«, widersprach ein Mann, anscheinend Esmer. »Dass sie den Haruchai vor dem Tod bewahrt hat, ist sonnenklar. Hast du nicht die wilde Magie gespürt, die den Frieden zerstört? Ich muss mit ihr reden, solange ich kann.«
»Wie du mit dem Schlaflosen ›gesprochen‹ hast?«, fragte ein Mädchen: eine jüngere Stimme, die vermutlich Pahni gehörte. »Du hast unser Versprechen, hier seien alle sicher, bereits gebrochen. Die Mähnenhüter beraten gegenwärtig, ob sie dir gestatten sollen, unter uns zu bleiben.«
Der Mann, der Esmer zu sein schien, schnaubte. Verächtlich? Verzweifelt? Linden wusste es nicht. »Solange die Ranyhyn mich akzeptieren«, antwortete er verächtlich oder sorgenvoll, »können die Ramen mich nicht zurückweisen, wenn sie dem Sinn ihres Lebens nicht untreu werden wollen. Und nun lasst mich durch. Ich muss mit der Wildträgerin sprechen.«
Linden wischte sich ächzend das Farnkraut von der Wange; rieb sich das Gesicht, um wenigstens halbwegs ins Bewusstsein zurückzukehren. Esmer wollte mit ihr reden? Auch gut. Sie hatte selbst einiges zu sagen.
Stave hätte sich niemals gegen ihn behaupten können; Esmer besaß zu viel Macht. Einen Augenblick lang erlebte sie nochmals die Demonstration, die die Ramen daran gehindert hatte, Stave beizustehen: die lähmende Übelkeit, die ihre eigenen Abwehrkräfte untergraben hatte. Esmers unprovozierte Gewalttätigkeit würde den Verächter entzücken, falls Lord Foul davon
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