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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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sie meinte? Das konnte sie nicht beurteilen. Sein mit unerschütterlicher Beherrschung ertragenes Leiden schien Verständnis auszuschließen. Aber für Linden spielte das jetzt keine Rolle mehr. Sie predigte sich selbst ebenso wie Stave.
    »Du hast also versagt«, erklärte sie ihm sanfter. »Und wenn schon? Du kannst nichts dafür, dass Esmer dich besiegt hat. Du hast nicht verloren, weil irgendwas mit dir nicht in Ordnung ist. Du hast verloren, weil er stärker ist als du.« Auch sie würde vielleicht versagen, weil sie nicht stark genug war. »Dasselbe Problem hatten die Bluthüter schon mit dem Weltübel-Stein. Verlange nicht, dass ich dich nicht heilen soll«, wiederholte sie. »Das ist in den Wind gesprochen. Und du hast noch viel Arbeit vor dir. Jemand muss deinem Volk erklären, was geschehen ist, und ich denke nicht daran, diese Aufgabe zu übernehmen.«
    Indem sie den Schwung dieser Bekräftigung nutzte, sandte sie ihre Sinne in Staves Körper.
    Etwas von dem Gesagten musste ihn erreicht haben. Statt seinen Verstand gegen sie zu verbarrikadieren, fragte er mit noch mehr blutigem Schaum vor dem Mund: »Was hast du also vor? Wenn du das Land nicht warnen willst ...?«
    Ihre Wahrnehmung schlüpfte mit der Subtilität einer sanften Brise, die kaum mehr als ein Seufzer war, in ihn hinein: eine kaum merkliche Erweiterung ihres Wesens, das nun auch seines umschloss.
    »Das erzähle ich dir, sobald ich es herausbekommen habe.« Wenigstens gestattete der Gebrauch des Sinnes für das Gesunde ihr, die Objektivität einer Ärztin zurückzugewinnen. Sie war fast ruhig, als sie hinzufügte: »Und bis es so weit ist, kannst du mir behilflich sein.«
    Mir helfen nachzudenken; mir helfen, mich unbefangen zu konzentrieren.
    »Ich verstehe nicht, welchen Groll die Ramen gegen dein Volk hegen. Was haben die Haruchai so Abscheuliches getan? Und erzähl mir nicht, dass sie versagt haben. Das weiß ich bereits.«
    »Wie du wünschst.« Staves Stimme brach fast vor Schmerzen.
    Obwohl Linden zehn Jahre ohne ihre Wahrnehmungsgabe zugebracht hatte, fiel ihr Gebrauch ihr sofort wieder leicht. Weil sie sehen konnte, ergossen die Schmerzen und Wunden, die sie wahrnahm, sich in sie, als befielen sie ihr eigenes Fleisch, ihren eigenen Verstand. Aber sie hatte gelernt, mit solchen Verletzungen umzugehen, um ihre Ursachen erkennen und Abhilfe schaffen zu können; und sie schreckte nicht vor den Leiden des Meisters zurück.
    Er schwieg so lange, dass sie schon fürchtete, er habe ihre Frage vergessen – oder der Mut habe ihn verlassen. Dann jedoch erhob er seine Stimme, so weit er es noch vermochte. »Die Ramen nehmen uns übel, dass wir die Ranyhyn reiten, aber das ist nicht der Grund für ihren Groll. Die Ranyhyn haben uns immer freiwillig gedient.«
    Seine Worte und sogar die Mühen, unter denen er sie herausbrachte, erleichterten es Linden, sich auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. Als ihre Sinne an oberflächlichen Schwellungen und Platzwunden vorbei zu den gefährlicheren Verletzungen vordrangen, erkannte sie jedoch, dass sie seinen Wunsch noch immer erfüllen konnte. Statt zu versuchen, ihn zu heilen, konnte sie ihm einfach Schmerzen ersparen, während er starb. Mit ihrem Sinn für das Gesunde konnte sie zwischen sein Bewusstsein und seine Verletzungen treten – gewissermaßen von ihm Besitz ergreifen –, um ihn schmerzfrei in den Tod zu geleiten. Fehlte ihr der Mut, mehr zu tun, und war sie bereit, sein Recht zu verletzen, die eigene Verzweiflung zu ertragen ...
    Nicht nur um Staves willen, sondern auch um ihrer selbst willen verwarf sie diese Idee, und nun war sie mehr denn je darauf angewiesen, über sich selbst hinauszuwachsen.
    In seinem Schmerz flüsterte Stave Worte wie allein für ihre Ohren bestimmte Geheimnisse. »In Wirklichkeit verzeihen sie uns nicht, dass die Bluthüter von den Ranyhyn akzeptiert wurden und sich dann als treulos erwiesen haben. Das weißt du. Als Korik, Sill und Doar vom Weltübel-Stein und den Wüterichen besiegt wurden, haben sie den Zorn der Ramen gerechtfertigt.«
    Linden hörte ihn. Auf einer Ebene hörte sie ihn sehr gut; seine Worte erschienen ihr klar und deutlich wie ein Stahlstich. Auf anderen Ebenen achtete sie jedoch nicht darauf, was er sagte. Ihre Aufmerksamkeit schweifte in andere Richtungen, andere Dimensionen ab.
    Da! Als sie an den Symptomen seines Sterbens zu ihrer Ursache vorgedrungen war, sah sie deutlich die Löcher und Risse in einem Lungenflügel, das langsame Pulsieren der

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