Die Runen der Erde - Covenant 07
wussten nicht, wie sie es hätten stillen sollen. Sie hätten Linden mit Heilerde behandelt, wäre ihr kleiner Vorrat von diesem Wundermittel nicht erschöpft gewesen. Sie hätten sie mit Amanibhavam behandelt, hätten sie nicht gefürchtet, es könnte sich als zu stark für sie erweisen – oder in ihrem Fall das falsche Fiebermittel sein.
Zuletzt konnte Liand nicht mehr tun, als einfach nur ihren Namen zu murmeln, während er sie in den Armen hielt. »Linden, Linden«, wiederholte er beständig, als glaube er, so das Fieber aus ihrer Seele austreiben zu können.
Trotzdem erholte sie sich allmählich. Als sie beim nächsten Mal wieder die Augen öffnete, glänzten sie im Fieber untröstlichen Sternen gleich, aber ein Hauch von Bewusstsein dämpfte die Verzweiflung in ihrem Blick. Sie trank wie absichtlich aus dem Wasserbecher, den Hami ihr an die Lippen hielt. Dann wurde ihr Zittern zu einem Husten, und sie setzte sich mühsam auf, um freier atmen zu können. Liand ließ sie sich aufsetzen, hielt sie aber weiter an den Schultern fest, damit sie nicht zur Seite fiel oder nach vorn ins Feuer sackte.
»O Gott, Stave«, krächzte sie schwach. Ihre Stimme klang gequält, schrecklich heiser, als hätte sie endlose Stunden lang gekreischt. »Die armen Pferde ... Oh, mein Sohn.«
Tränen liefen ihr über das Gesicht, obwohl ihr die Kraft zum Weinen fehlte.
*
Sie brauchte eine Weile, um zu erkennen, wo sie war. Meilen und Bergketten und prasselnder Regen hatten sich zwischen das Rösserritual und sie geschoben. Anfangs konnte sie sich nur an Stave erinnern, nur seine Züge durch die lodernden Flammen hindurch identifizieren: Das Gesicht des Mannes, der sie gegen seinen Willen begleitet hatte.
Hatte er auch nur einen Bruchteil dessen gesehen, was sie wahrgenommen hatte ...
Aber das Rösserritual selbst existierte zunächst nur bruchstückhaft in ihrer Erinnerung; zunächst musste sie mühsam, voller Kummer und Schmerz, eine Verbindung zwischen sich und diesem vergessenen Unterschlupf, dieser verlorenen Wärme, diesen ungeahnten Gesichtern, verdammt und halb vertraut, herstellen. Ihr Zittern ließ die Vergangenheit zersplittern, sodass sie den Boden um ihre Füße herum wie Glasscherben bedeckte. Im Fieber schien sie einen nach dem anderen aufzuheben, um damit in ihr kummervolles Herz zu schneiden.
Hyn ...
Nun gut, an Hyn erinnerte sie sich. Die Stute hatte sie am Leben erhalten. Hyn war zu Fleisch gewordene Erdkraft, ruhmreich und flehend zugleich; verehrt und verwundbar. Und Hynyn, der Stave getragen hatte ...
Und der schwarze Bergsee, seine Wasser lichtlos wie Verzweiflung.
Sie war nicht bereit.
Jemand, den sie vielleicht hätte wiedererkennen müssen, erschien und bot ihr eine kleine Schale mit zerdrückten Schatzbeeren an. Sie aß ein wenig von dem saftigen Fruchtfleisch und wurde spürbar kräftiger.
Covenant hatte einmal gesagt: Einem Mann, der alles verloren hat, kann man nur durch eines wehtun: Man gibt ihm etwas Zerbrochenes zurück.
Sie hätte sich lieber an den Sturm erinnert. Sie war vorgewarnt gewesen – und hatte trotzdem nicht gewusst, wie sie ihn ertragen sollte.
Also: Stave; Hyn und Hynyn; der schwarze Bergsee.
Und das Rennen ...
... kreuz und quer und rund um das Tal, bis ihr Herz zu bersten drohte; so leidenschaftlich wie die Ranyhyn, wenn auch ohne ihr rasendes Tempo, ihre geschmeidige Kraft. Miteinander hatten sie ihre gemeinsamen Visionen in den zertrampelten Boden gestampft. Sie hätte imstande sein müssen, die in ihrem Inneren ablaufenden chemischen Reaktionen zu begreifen. Ihr Sinn für das Gesunde hätte es ihr ermöglichen müssen, die gewaltigen Kräfte des Bergsees zu benennen. Aber ihr Bewusstsein, ihr beherrschbarer Verstand waren mit dem ersten Schluck Wasser aus dem See verschwunden. Sie hatte sich mit den Ranyhyn vereinigt, war nicht mehr sie selbst gewesen.
Nur zwei von ihnen. Nicht etwa, weil die übrigen Ranyhyn sie oder Stave oder dieses Rösserritual ablehnten, sondern weil sie zu viel Scham empfanden. Hyn und Hynyn waren dazu auserwählt worden, das Schuldgefühl und die Reue und das Risiko ihrer großen Rasse zu tragen.
Als Opfertiere auserwählt ...
Nein. In keinem Fall.
Linden zog es ohne Zweifel vor, sich an ihre Leiden während des Sturms zu erinnern – doch ihre Erinnerungen an den Sturm konnten sie nicht schützen. Der Orkan, der nachts über die Berge hereingebrochen war, hatte das Verblassen ihrer Verklärung nur beschleunigt; hatte sie nur
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