Die Runen der Erde - Covenant 07
adoptiert. Seine verbitterte Zärtlichkeit und die Wohltaten der Ranyhyn waren alles, was die Kleine am Leben erhielt.
Linden empfand die Einsamkeit und Not des kleinen Mädchens ebenso lebhaft wie Jeremiahs, nahm sie so akut wahr wie die erzwungene Verstümmelung ihres Sohnes. Die großen Pferde hatten Elena deutlich gesehen. Jedes Jahr einmal war ein Ranyhyn, ein alter Hengst, nach Steinhausen Mithil gekommen, um Lenas Trauer zu lindern, und hatte sich so wieder und wieder davon überzeugen können, wie sehr das Kind sich in dieser kurzen Zeit verändert hatte. Und als die Stute Myrha den Platz des Hengstes eingenommen hatte, hatte sie Elenas Potenzial in ihrem Herzen deutlicher erkannt, als jeder Mann und jede Frau, die das Kind liebten, es gekonnt hätten.
»Es geht um Elena«, erläuterte Linden so deutlich wie möglich, obwohl sie keine Worte fand. »Ihretwegen schämen die Ranyhyn sich. Das Rösserritual war ihr Unglück.«
Hätte Jeremiah nach seinen Folterqualen in Lord Fouls Feuer statt Krankenhäusern und Operationen die Ranyhyn gehabt, hätte ein aufregendes Abenteuer, wie Elena es erlebt hatte, ihn aus seiner Isolation locken können.
Ob die Ramen sich daran erinnerten, dass Elena vor Jahrtausenden an diesem Ritual teilgenommen hatte? Sie waren nicht dabei gewesen. Vielleicht war kein Ramen jemals Augenzeuge eines Rösserrituals geworden oder hatte gar an einem teilnehmen dürfen. Trotzdem, so beschloss Linden, mussten sie die Geschichte kennen.
»Sie geben sich die Schuld daran«, erklärte sie den lodernden Flammen, »was Elena geworden ist.«
Eben weil die Ranyhyn sich ihrer Macht über Elena bewusst waren, hatte Myrha die Kleine einst zu jenem Konklave getragen. Sie hatten weit in die Zukunft vorausgeblickt und die Gefahr gespürt, die Elena in vielen Jahren drohen würde; und die Ranyhyn hatten gehofft, das Mädchen von seiner angeborenen Neigung zu unglücklichen Entschlüssen abbringen zu können.
Jetzt wussten die Ranyhyn, dass sie erbärmlich gescheitert waren.
Sie hatten Elena die Arroganz von Kelenbhrabanals Verzweiflung vor Augen geführt, weil sie sie lehren wollten, dass eine Niederlage besser als erduldetes Unrecht war. Lena hätte sich mit aller Kraft gegen Covenant wehren sollen. Es war besser, gegen Fangzahn zu kämpfen und zu sterben, als zu glauben, irgendein großes Opfer könnte Fangzahns Charakter ändern – oder das Schicksal des Landes.
Aber Elena hatte diese Lektion nicht verstanden. Weil sie vom Donner von Hunderten von Pferdehufen wie betäubt und durch die Kommunion der Ranyhyn geblendet gewesen war. Covenants Geschenk hatte sie unempfindlich gemacht. Sie bewunderte die großen Pferde schon seit langem; aus ihrem Ritual aber hatte sie etwas gelernt, das auf eine Anbetung Kelenbhrabanals hinauslief. Sein Opfer erschien ihr vorbildlich: eine so transzendentale Tat, dass sie weder herabgewürdigt noch übertroffen werden konnte.
Das Rösserritual hatte sie nicht von ihrem späteren Ruin abgehalten. Vielmehr hatte es sie erst recht auf den Weg zur eigenen Zerstörung gebracht.
Beim Sprechen taten Linden Mund und Kehle weh: die Wörter schnitten wie Blätter von Grashalmen, Splitter aus der Vergangenheit. Trotzdem zwang sie sich, sie auszusprechen: »Ich glaube, die Idee, Kevin heraufzubeschwören, hatte Elena von Kelenbhrabanal .«
Vielleicht hätte Elena sogar versucht, den Vater der Pferde zu beschwören, wenn sie das mächtige Wissen der Alt-Lords besessen hätte. Und jetzt sahen die Ranyhyn, dass sie Opfer ihrer eigenen Arroganz geworden waren. Da sie Elenas Verwundbarkeit erkannten, hatten sie sich für klug genug gehalten, ihre Zukunft zu lenken.
Hätten Hyn und Hynyn jedoch dort haltgemacht, hätte Linden ihre Selbstvorwürfe ertragen, sie vielleicht sogar zurückgewiesen. Ihre Seele wäre nicht zutiefst angewidert gewesen. Die Beschämung der großen Pferde, hätte sie urteilen können, war wiederum arrogant. Die Ranyhyn hatten die Verantwortung für Elenas Handeln übernommen, obwohl diese Last einzig und allein Elena gebührte.
Aber die beiden Pferde hatten hier nicht aufgehört. Nachdem sie die Erinnerungen der Ranyhyn an Elena vor Linden und Stave ausgebreitet hatten, hatten sie ihre Geschichte nochmals von Anfang an erzählt – mit einer erschreckenden Veränderung. In ihren Visionen hatten sie Elenas Gesicht durch Lindens ersetzt.
Sie versuchten noch immer, sie zu warnen.
»Aus irgendeinem Grund«, wimmerte sie, »fürchten sie mich jetzt. Sie
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