Die Runen der Erde - Covenant 07
fordern, während die Hornissen die hervorquellende Schwärze angriffen und dabei in Flammen aufgingen.
Mahrtiirs Stöhnen klang wie ein Todesröcheln; Schmerzen lähmten seine Seilträger.
Joan schluchzte jetzt laut, während sie gegen ihre Stirn hämmerte, um Gewaltausbrüche und Zerstörung zu bewirken. Turiya Herem vervielfachte ihre Qualen. Die Skest glitten über die Felsen, lösten sich ratlos auf und entstanden sofort wieder. Im realen Land war ihre Macht für einen kurzen Augenblick zu Finsternis geworden, die Joan kein Ventil für ihren Schmerz mehr bot.
Jetzt umgaben Urböse alle Reiter. Ihr bellender Singsang drang an Lindens Ohr: machtvoll, fast greifbar solide, hektisch und entschlossen zugleich, zerfetzt und gleichzeitig unbeschädigt. Dank ihrer Lehre wurde die Zäsur mit Vitriol angereichert, das gegen die weiße Leere und die Hornissen wirkte; den Unterschied zwischen Chaos und Identität wieder herstellte.
Dann ballte Anele die Faust und presste einen einzigen Tropfen Blut aus der Schnittwunde in seinem Unterarm. Daraufhin schienen die Urbösen ihre Gewalt zu verdoppeln, und alle Ranyhyn hoben gleichzeitig die Köpfe. Zum Takt dieses kehligen Gesangs begannen sie, trotz Ameisenkribbeln und Kälte loszutraben; gegen den Strom der fraktionierten Zeit anzurennen.
Einige Zeit lang, die ein Augenblick oder ein Äon sein konnte, fürchtete Linden, die Dämondim-Brut würde ermatten, die Ranyhyn würden vom Weg abkommen, Joans unwiderlegbare Verrücktheit würde ihre Wirksamkeit zurückerhalten, die in und durch ihr Fleisch surrenden Hornissen würden ihr den letzten Rest Vernunft rauben.
Dann teilte sich die kranke Aura des Sturzes links und rechts vor Linden, und ihre Gefährten und sie ritten unter sonnigem Himmel auf festen Erdboden hinaus, als hätte Satans eigener Leviathan sie ausgespuckt.
6
Der Stab des Gesetzes
Von Erleichterung erschüttert glitt Linden von Hyns Rücken, kam auf Händen und Knien auf und ließ sich dann im harten Gras auf den Bauch fallen, als wolle sie die Erde umarmen. In diesem Augenblick erschien ihr die gewöhnliche Kompaktheit des Erdbodens unendlich kostbar; beinahe so wirksam wie Heilerde.
Sie hörte ein Würgen in ihrer Nähe. Ohne hinzusehen wusste sie, dass auch Liand und die beiden Seilträger sich nicht mehr auf ihren Ranyhyn hatten halten können. Sie spürte sie ganz deutlich – trotz der Nachwirkungen, der Restqualen der Zäsur. Liand und einer der Seilträger – Bhapa –, denen von überstandenen Qualen schlecht war, spuckten Galle und Übelkeit ins harte Gras.
Das Gras war zäh, weil es das sein musste. Der Humus, in dem es wuchs, bildete nur eine dünne Schicht über altem Schiefer. Es bekam nur wenig Regen, dessen Nässe bald wieder verdunstete. Trotzdem standen die Halme mit den lanzettförmigen Blättern dicht genug, um den Erdboden zu polstern. Als Linden einatmete, bekam sie keinen Staub in die Nase, sondern nahm die Feuchtigkeit von Wurzelgeflecht und die Hitze eines Spätsommertags wahr.
Sie hatte so entsetzlich gefroren ... Jetzt war die Tageswärme ein Segen, Balsam für ihre wunden Sinne.
Mahrtiir war in keiner besseren Verfassung als die beiden anderen Ramen, aber er übergab sich nicht. Stattdessen stieg er bedächtig von seinem Reittier ab und entfernte sich mit den schlurfenden Schritten eines alten Mannes. Seine Steilheit verriet Linden, dass er sich seiner Schwäche schämte und Abstand halten wollte, bis er sich wieder erholt hatte.
Stave, der nichts von der ramponierenden Übelkeit erkennen ließ, unter der Liand und die Ramen litten, stieg ebenfalls ab. Er wirkte bemerkenswert ganz; immun gegen Schmerzen und Verwundungen. Nur sein unfreiwilliges Hinken bewies, dass auch er nicht unverwundbar war.
»Auserwählte«, sagte er bei Lindens Kopf stehend, »kannst du dich bewegen? Wir haben die Zäsur überlebt. Allein diese Leistung verdient Anerkennung.« Sein Tonfall verriet, dass Stave ihr nicht so viel zugetraut hatte. »Ich weiß nicht, in welche Zeit wir geraten sind, aber wo wir sind, steht außer Zweifel. Erhebe dich und sieh dich um.«
Sie hob nicht den Kopf; die tröstliche Sonnenwärme hielt sie gefangen. Ohne den Meister zu beachten, setzte sie weiter ihre Wahrnehmungsgabe ein, um auf handgreifliche Weise eine Bestätigung zu erhalten, dass sie noch lebte – und in jeder Hinsicht intakt war.
Nur Anele, das spürte Linden deutlich, blieb auf Hrama sitzen, schien seine Umgebung mit blinden Augen zu studieren.
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