Die Runen der Erde - Covenant 07
hatten ...
Entschlossen wandte Linden sich zu den Urbösen um. Selbst nach allem, was diese Wesen schon für sie getan hatten, widerstrebte es Linden noch immer, sich ihnen zu nähern; so sehr schüchterten ihre bestialischen Gestalten und ihre dunkle Vergangenheit sie ein. Trotzdem ging sie jetzt vorsichtig auf den Lehrenkundigen zu, und als Linden näher kam, stellten die Geschöpfe ihr leises Bellen ein. Sie wandten ihr die Gesichter zu, schnüffelten feucht. Ihre Ohren zuckten. Die schmalen Schlitze ihrer Münder wirkten grausam wie Schnitte.
Einige Schritte vor dem Lehrenkundigen blieb Linden stehen. Indem sie die Stirn des Urbösen anstarrte, um seine weiten Nasenlöcher nicht sehen zu müssen, sagte sie unbehaglich: »Ich wende mich nicht gern an euch. Es kommt mir respektlos vor. Ich kann euch um Hilfe bitten, und ihr könnt mir nicht einmal sagen, wie ich euch danken kann. Dabei könnt ihr mich bestimmt nicht um etwas bitten. Und ihr habt schon so viel getan ... Aber Stave hat recht. Alles, was wir hier tun, ist gefährlich. Und je länger wir bleiben, desto gefährlicher wird es. Wir sollten aufbrechen, aber das können wir nicht. Liand und die Ramen sind in zu schlechter Verfassung, um reiten zu können.«
Die Reaktion des Lehrenkundigen bestand aus einer Bewegung, die sie nicht deuten konnte. Ihr Sinn für das Gesunde sagte ihr lediglich, dass dieses Geschöpf zu fremdartig war, als dass sie es intuitiv hätte verstehen können.
Dann verschränkte der Lehrenkundige jedoch die Finger wie zu einer Anrufung; murmelte einige gutturale Laute, die in der stillen Luft zu hängen schienen: bedeutungsschwer und seltsam volltönend. Im nächsten Augenblick erschien zwischen seinen Handflächen eine obsidianschwarze Eisenschale, die offenbar durch Stoffumwandlung aus einem Teil seines Körpers entstanden war. Die Schale enthielt eine Flüssigkeit mit dem typischen Modergeruch von Vitrim.
Weil Linden gerührt war und nicht wusste, wie sie ihre Dankbarkeit sonst ausdrücken sollte, sank sie auf die Knie, um die Schale aus den Händen des Lehrenkundigen entgegenzunehmen.
Die Urbösen sprachen im Chor, blafften eine Erwiderung, die ihr nichts sagte. Das raue Bellen hätte ein Fluch oder ein Lobgesang sein können – oder eine Warnung. Erneut hatten sie ihr gegeben, wessen sie bedurfte. Die dunkle Flüssigkeit kündete ihren Sinnen von konzentrierter Wiederherstellung. Linden kam unsicher auf die Beine, trug die Schale zu dem nächsten ihrer Begleiter – dem Mähnenhüter – hinüber und setzte sie ihm an die Lippen. Mahrtiir zögerte nicht. Er war sehr bedürftig, und seine Wahrnehmungsgabe war nicht geringer als Lindens. Er umfasste die Schale mit Vitrim mit beiden Händen und trank mit kleinen Schlucken daraus.
Die Wirkung trat erstaunlich rasch ein. Von einem Herzschlag zum nächsten durchpulste ihn neue Kraft. Aus seinen Muskeln verschwanden die Schmerzen, und seine Übelkeit klang ab. Er schien sich innerlich aufzurichten, obwohl er noch sitzen blieb und kaum imstande war, seine rasche Erholung zu begreifen. Seine Stimme war von überstandenen Strapazen noch heiser, als er Linden drängte: »Hilf jetzt den Seilträgern. Und dem Steinhausener.«
Er brauchte nicht hinzuzufügen: Und dir selbst.
Sie sehnte sich nach einem Schluck von dem Stärkungsmittel. Die Nachwirkungen der Zäsur hafteten noch an ihr, verschlimmerten alte Erinnerungen an das Sonnenübel und Covenants Tod. Aber ihre Gefährten brauchten das Mittel dringender.
Von Mahrtiir aus ging Linden zu Pahni hinüber, kniete bei ihr nieder.
Die junge Frau konnte nicht einmal den Kopf heben. Ihr Mageninhalt drohte jeden Augenblick hochzukommen, und ihre Muskeln hingen schlaff an den Knochen, als besäßen sie nicht mehr die Kraft, sich zusammenzuziehen. Aber Stave, der sich zu Linden gesellt hatte, stützte Sahahs Cousine, damit sie einige kleine Schlucke Vitrim trinken konnte. Sobald Pahni die dunkle Flüssigkeit gekostet hatte, wandten Linden und Stave sich Bhapa zu, um ihm zu helfen.
Unterdessen hatte Liand beobachtet, was geschah. Indem er sich weiter den schmerzenden Bauch hielt, kroch er zu dem älteren Seilträger hinüber, um gleichfalls von dem Vitrim zu trinken.
Bald waren Bhapa und er wieder auf den Beinen, und Pahni stand neben ihnen. Sie konnten kaum stehen, aber Linden sah, dass ihre Erholung rasch fortschritt. Die vier würden zweifellos sehr viel früher wieder reiten können als sie selbst. Und dann, endlich, gestattete sie
Weitere Kostenlose Bücher