Die Runen der Erde - Covenant 07
ganz plötzlich sein. Und du, Liand ...« Sie ging absichtlich nicht auf seine unverkennbare Sorge um sie ein. »Du holst Anele her. Bring ihn in die Schlucht hinauf. Wenn er die Wegwahrer nicht überzeugen kann ...«
Sie brachte diesen Gedanken nicht zu Ende. Konnte der Alte die Wegwahrer nicht umstimmen, besaßen sie kein Herz, und sie war machtlos.
Liands Blick blieb bittend, aber er erhob keine Einwände. Als Bhapa und Pahni sich zustimmend verbeugten, lächelte er schief und folgte ihrem Beispiel.
Seine Großzügigkeit rührte Linden; sie hätte sich gern einen Augenblick Zeit genommen, um ihm zu danken, aber ihre Ängste ließen sie nicht los.
Als hätte Linden sie von einer Pflicht entbunden, ergaben die Urbösen sich wieder ihrer Müdigkeit. Ihre Keilformation löste sich auf, und sie sanken im Flussbett nieder, um zu rasten. Gleichzeitig machten Liand und die Seilträger sich über die Hügel zu Anele und den Ranyhyn auf.
Linden, die weiter von Stave und Mahrtiir begleitet wurde, kehrte zu Esmer und dem Wegwahrer zurück. Sie schritt durch die Schatten aus, als beabsichtige sie, die Finsternis herauszufordern.
Esmer und das Geschöpf sprachen halblaut miteinander, brachen ihr Gespräch jedoch ab, als die anderen herankamen. Linden war sich ihrer Sache nicht sicher, aber sie glaubte, in Esmers rätselhaften Augen Tränen zu sehen.
Sie war zu nervös, um zu schweigen, deshalb fragte sie: »Was nun?«
Esmer zog die Schultern hoch: ein Achselzucken, oder ein Ausdruck mühevoller Selbstbeherrschung. »Die Wegwahrer sind tapfer«, antwortete er mit leiser Stimme, »und allzu viele von ihnen werden sterben, wenn du keine Möglichkeit findest, sie zu erlösen. Sie sind sich ihrer verzweifelten Lage bewusst, aber sie stellen sich ihrer Verantwortung trotzdem. Ich trauere um sie wie um mich selbst.«
Großartig! Genau, was ich brauche. Noch mehr Rätsel.
Laut sagte sie: »So sieht deine Hilfe also aus. Du hast eine Zäsur für mich heraufbeschworen, und dadurch sind die Ramen aus ihren Wohnstätten vertrieben worden. Jetzt bist du hier, um für mich zu ›vermitteln‹, und daraufhin steht den Wegwahrern etwas Schlimmes bevor.«
Er nickte steif.
Dann fiel ihr noch etwas ein. »Was ist mit der Unterstützung, die du den Ramen gewährt hast, bevor sie zur Grenze des Wanderns gekommen sind? Wie willst du sie dafür büßen lassen?«
Esmers feuchte Augen wichen ihrem Blick aus. »Das habe ich bereits getan. Ich habe sie in die Nähe des Landes gebracht, als du ihrer bedurftest. Schlimmeres ist in diesem Fall nicht von mir gefordert worden.«
Linden hätte ihn am liebsten angefaucht; aber sie behielt ihren Zorn für sich. Solange sie in dieser Zeit verharrte, konnte sie nichts für die Ramen tun.
»Folglich«, erklärte Stave ihm, »wären die Auserwählte und das gesamte Land ohne deine Hilfe besser dran.«
Linden, die sich an Esmers frühere Gewalttätigkeit erinnerte, machte sich bereit, zwischen ihn und den Haruchai zu springen, aber Cails Sohn ging nicht auf Staves Anschuldigung ein.
»Ring-Than«, warf Mahrtiir zögernd ein, »auch mir gibt er Rätsel auf.« Der Mähnenhüter wirkte verunsichert. »Er hat sich als Freund der Ramen wie auch der Ranyhyn erwiesen und uns nie Grund zum Misstrauen gegeben. Eines weiß ich sicher: Er hat uns nie zu etwas gedrängt, das gegen den Willen der Ranyhyn gewesen wäre. Deshalb bedauern wir nichts, was wir getan haben, auch wenn wir in der Tat in einer Zeit der Gefahr zur Grenze des Wanderns zurückgekehrt sind.«
Bevor Linden darauf antworten konnte, hörte sie Bewegungen hinter sich. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass Liand mit Anele das Flussbett betrat. Der Steinhausener stützte den Alten mit einem um seine Taille geschlungenen Arm. Anele schien alle Stärke und alle Willenskraft eingebüßt zu haben: Er begleitete Liand nur, weil der junge Mann ihn halb trug. Trotzdem war Linden sich seiner sicher. Er verkörperte etwas, was die Wegwahrer dazu bringen würde, ihr zu helfen. Blieben sie auch ihm gegenüber taub, würden sie auf keine anderen Bitten hören.
»Danke«, murmelte sie, als Liand und der Alte bei ihr ankamen. Dann sagte sie: »Lass ihn los. Wir wollen sehen, was er tut.«
Liand gehorchte mit einem Nicken. Nachdem er Anele losgelassen hatte, trat er einige Schritte zurück.
Das Halbdunkel füllte die Höhlen von Aneles blinden Augen mit Schatten. Er wirkte gänzlich verwirrt; zu sehr in Verzweiflung verfallen, um sich seiner Umgebung
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