Die Runen der Erde - Covenant 07
beunruhigte ihn nicht sichtbar. Er nickte ihr lediglich zu und ging zur Tür. Nachdem Liand zwei Hände voll Brot und Käse mitgenommen und in der Vordertasche seines Gewands verstaut hatte, folgten Linden und er dem Meister auf die Korridore von Schwelgenstein hinaus.
Linden war vage überrascht, dass die Gänge jetzt von Öllampen und Fackeln in weiten Abständen erhellt wurden. Seit dem Vortag hatte irgendjemand – vielleicht die Mahdoubt oder irgendeine andere Dienerin von Schwelgenstein – ihren Wunsch nach Licht erfüllt. So konnte Linden jetzt ihren Weg erkennen, der durch leere Korridore, über hallende Treppen hinab und durch unbenützte Säle führte.
Die spärliche Beleuchtung ließ die gewaltige Feste sogar noch verlassener wirken als zuvor. Jetzt konnte Linden sich nicht mehr vorstellen, außer Reichweite ihrer Sinne lebten hier Dutzende, sogar Hunderte von Menschen; stattdessen kündeten die langen Steinkorridore und hohen Säle von schmerzhafter Leere. Schwelgenstein war von den Riesen dafür erbaut worden, von Männern und Frauen bewohnt zu werden, die es liebten; und nun waren diese Bewohner fort.
Zweifellos respektierten die Meister Schwelgenstein. Vermutlich bewunderten sie es sogar. Aber sie konnten nicht den Platz der Alten einnehmen, die hier einst Erdkraft und Stein gedient hatten. Der Riesenbau im Urgestein brauchte mehr als nur etwas Beleuchtung; er brauchte Leben und Wärme.
Galt führte Linden und Liand in komplexen Etappen abwärts und nach innen, tiefer ins alte Herz der Feste hinein; und während sie hinabstiegen, wurden die Luft und der Stein kälter. Die Schatten hinter den Öllampen und Fackeln verstärkten sich, bis sie düsteren Schlupfwinkeln glichen. Linden bildete sich ein, außer dem dumpfen Poltern ihrer Stiefel, dem leiseren Klatschen von Liands Sandalen und dem fast unhörbaren Rascheln von Galts Schritten das gedämpfte Atmen und Flüstern lauernder Feindseligkeit hören zu können. Mit ihrem Sinn für das Gesunde konnte sie das gewaltige Gewicht von Schwelgenstein auf sich lasten fühlen, als warte es begierig darauf, was sie tun würde.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie Galt plötzlich. Trotz ihrer neu gewonnenen Zuversicht fand sie die verlassene Festung deprimierend. Sie wollte etwas anderes als Echos hören, die im Leeren verhallten.
»Nicht mehr weit«, antwortete der Gedemütigte. »Wir wollen uns in der Klause besprechen, in der einst der Großrat der Lords zusammengetreten ist, um über die Bedürfnisse des Landes und die zu ergreifenden Maßnahmen zu beratschlagen.«
Linden seufzte. Für die Haruchai war die Klause sicher bedeutsam, aber sie hatte sie nie gesehen. Zu vieles aus der Geschichte des Landes war ihr unbekannt – oder seit langem verloren.
»Ist Anele auch dort?«
»Auserwählte«, antwortete Galt, »alle deine Gefährten erwarten dich dort – bis auf die Dämondim-Brut. Die ist schon über die Hügel des Hochplateaus verschwunden. Ob sie zurückkehren wird, wissen wir nicht.«
Fort.
Die rätselhaften Erfordernisse ihres Wyrd – oder ihrer Wyrd, wenn die Urbösen und Wegwahrer sich nicht einigen konnten –, hatten sie von hier abberufen. Linden hatte keine Ahnung, was ihr Verschwinden bedeuten mochte; aber sie konnte wenigstens glauben, sie seien in Sicherheit.
Jetzt bot Liand ihr Brot mit etwas Käse an. Sie nahm beides dankbar entgegen und begann zu essen, während sie Galts unbeugsam steifem Rücken folgte.
Dann sah sie vor sich einen großen Torbogen, der aussah, als hätte er einst Türflügel enthalten. In diesem Fall waren sie längst nicht mehr da: vernachlässigt, bis sie abgefallen waren. Jetzt gähnte die Öffnung wie ein zu Stein gewordener Schrei – ein so uralter Aufschrei, dass nur der Granit sich noch an ihn erinnern konnte.
Aus dem Torbogen drang hellerer Lichtschein. Als Galt seine Schützlinge durch den Eingang geführt hatte, fand Linden sich in einem von zahllosen Lampen beleuchteten Versammlungsraum wieder: in der Klause. Sie bildete eine zylinderförmige Höhle, hoch und tief zugleich, die mit unterschiedlichen Absichten erbaut worden zu sein schien. Hoch über Linden, fast außer Reichweite der Beleuchtung, war das Kreuzgewölbe mit reicher Steinmetzarbeit geschmückt, die so ehrfürchtig ausgebildet war, als solle sie alles ehren, was unten in der Kammer getan und gesagt wurde. Aber hinter dem Eingang fiel der Boden ab, um eine primitive Grube zu bilden. Anfangs sank der Stein in Stufen ab, die einst
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