Die Runen der Erde - Covenant 07
umgebracht. Meine Mutter hat mich angefleht, sie von ihren Schmerzen zu erlösen. Ich weiß, wie es ist, psychisch geschädigte Eltern zu haben. Aus meiner Sicht haben Sie sich damit nur das Recht verdient, dies alles nicht zu tun!«
Roger schüttelte den Kopf. Joans Spinnenfinger zupften schwach an seiner Schulter, flehten ihn an. Ihre Berührung hinterließ schwache Blutspuren auf seinem Hemd.
»Sie kommen zu spät«, erklärte er Linden. »Sie haben bereits verloren. Das müssten Sie erkennen können. Ihre Hand blutet, Doktor.« In seinem Tonfall klang wieder seine frühere Begierde an. »Woher kommt das wohl?«
Sie starrte ihn an, war einen Augenblick lang sprachlos. Wie hatte er ...?
Aber er hielt ihren Sohn am Handgelenk gepackt; er zielte mit seiner Pistole auf Sandys Kopf. Um ihretwillen antwortete Linden: »Weil ich mich geschnitten habe.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Weil sie bereits dem Untergang geweiht sind. Sie können ihm nicht mehr entkommen.«
Also brauchte er auch ihr Blut.
Ein weiterer, unnatürlich lange anhaltender Blitz schlug in Lindens Nähe in den Erdboden ein. Seine Helligkeit blendete sie einen Augenblick lang, tauchte Rogers Gesicht in tiefe Schatten. Diesmal nahm sie im Inneren der Flammensäule hungrig gefletschte Reißzähne wahr, die sie mehr ahnte als sah. Sie schienen nach ihr schnappen zu wollen, solange der Blitz anhielt. Roger fuhr gelassen fort: »Aber ich mag Sie, Doktor. Mir gefällt, was Ihre Eltern Ihnen angetan haben. Ich lasse Ihnen die Wahl. Wie ich sehe, haben Sie Ihre Tasche mitgebracht.« Sein Nicken galt dem Gewicht, das ihr half, sich gegen den Winddruck zu behaupten. »Sie haben irgendwo darin bestimmt ein Skalpell. Holen Sie es heraus. Säbeln Sie sich die rechte Hand ab.« Er grinste begierig. »Tun Sie es, lasse ich diese Frau leben.« Er deutete mit der Pistole auf die zusammengesunkene Sandy.
Joan hob eine zitternde Hand an ihre verletzte Schläfe, und in dieser Sekunde verwandelte sich Linden. Die grellen Blitze erschütterten sie nicht mehr; Schock und Entsetzen hatten keine Macht mehr über sie.
»Was ist mit Jeremiah?«, schrie sie gegen den Sturm an.
Rogers unmenschlicher Blick ließ sie nicht los. »Erst die Hand.« Seine Augen waren trübe und glanzlos, blieben dunkel wie Katakomben. »Dann können wir über ihn reden.«
Sie ließ sich vom Wind und dem Gewicht ihrer Tasche einen Schritt vorwärts treiben, als sei sie gestolpert. Einen einzigen Schritt weit bis zum Rand des Findlings. Von Glimmerflocken eingefangene Funken wirbelten um ihre Füße.
Jeremiahs schlaffer Mund hing offen; sein Blick blieb ihr verschlossen. Er war ihr auserwähltes Kind, der Sohn, den sie trotz seiner abgeschotteten Ausdruckslosigkeit liebte und betreute. Aber nichts an ihm deutete auf Verstehen hin – außer dem rot lackierten Rennauto, das seine linke Hand umklammert hielt. Sie konzentrierte ihre Stimme und ihren Zorn und die zitternde Stablampe bewusst auf Roger. »Sie sehen die Sache völlig falsch, Arschloch! Ich lasse Ihnen die Wahl. Sie geben mir Jeremiah. Und Joan. Und Sandy. Lebend! Dafür gebe ich Ihnen den Ring Ihres Vaters.«
Er blinzelte, als hätte sie ihn überrascht. Hinter ihm gab Joan leise Maunzlaute von sich, als flehe sie Roger an, sich zu beeilen.
Wieder schlug ein Blitz in der Nähe des Findlings ein – diesmal so nahe, dass Linden die elektrische Entladung als über ihre Haut laufende brennende Welle spürte. Diesmal war sie sich sicher, im Inneren der Feuersäule Augen und Fänge sehen zu können.
»Aber warum sollte ich das tun?«, fragte Roger sie. »Der Ring gehört bereits mir. Wenn ich soweit bin, erschieße ich Sie einfach und nehme ihn mir.«
»Nein, das tun Sie nicht.« Ein weiterer Schritt. Jetzt stand sie zwischen den Funken. »Der Wahnsinn in Ihrem Kopf ... Lord Foul. Er lässt es nicht zu. Was er will, darf er sich nicht auf diese Weise beschaffen. Sonst hätten Sie mich längst erschossen.«
»Roger«, ächzte Joan hörbar laut. »Roger!«
Sandy, die schlaff hingestreckt neben Roger lag, bewegte sich wieder, als versuche sie, den Schmerzen in ihrem Kopf zu entkommen.
Roger ignorierte seine Mutter, um sich auf Linden zu konzentrieren. Er schien kurz über ihr Angebot nachzudenken, dann verkündete er: »Ein interessanter Vorschlag. Nur hat er leider einen Haken. Wie könnte ich Ihnen jemals trauen? Lasse ich die anderen frei, laufen Sie einfach weg. Nein, ich bin fürs Unkomplizierte. Ich habe eine Pistole. Ich
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