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Die Runen der Erde - Covenant 07

Die Runen der Erde - Covenant 07

Titel: Die Runen der Erde - Covenant 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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gelehrt hatte, die Erinnerung an den Zweifler zu bewahren. Sicher war: Sie brauchte Hilfe. Sie musste darauf vertrauen, dass sie sie irgendwie finden würde. Sonst brachte sie vielleicht nicht den Mut auf, über die lange, gefährliche Treppe vom Kevinsblick ins Tal abzusteigen. Sie würde jedenfalls nicht tapfer genug sein, um das gesamte Land allein nach ihrem Sohn abzusuchen.
    Joan war irgendwo dort draußen: die Herbeiruferin mit ihrem Wahnsinn und ihrem Weißgoldring. Und auch Roger, der seinem grausamen Herrn diente. Er musste hier sein. Wie hätte Lord Foul sonst Jeremiah in seine Gewalt bringen können?
    In diesem Augenblick empfand Linden den Verlust Thomas Covenants so schmerzlich, dass sich ihr Herz verkrampfte. Hätte er nur noch gelebt, um ihr beistehen zu können, hätte sie alles ertragen, sich jeglicher Gefahr stellen, alle Not erdulden können. Aber als sie sich eine Zeit lang ausgeruht hatte, stand sie wieder auf. Sich nach dem toten Geliebten zu sehnen war eine Schwäche, die sie sich nicht leisten konnte. Der Verächter hatte ihren Sohn in seine Gewalt gebracht. Solange Jeremiah lebte, würde sie tun, was in ihrer Macht stand, um ihn zurückzuholen. Während ihre Finger sich Trost suchend um Covenants Ring schlossen, wandte sie sich nunmehr dem Westrand des Kevinsblicks zu, um einen Blick ins Tal des Flusses Mithil zu werfen.
    Aber sie hatte kaum einen Schritt vorwärts getan, als sie vor Überraschung und Bestürzung erstarrte. Ihr erster Blick über die Brüstung zeigte ihr, dass die gesamte Landschaft von Horizont zu Horizont unter einer dicken gelben Wolkendecke lag.
    Nein, keine Wolke, verbesserte sie sich fast augenblicklich: Smog. Es sah wie Smog aus. Kaum dreißig Meter unter ihr verdickte die Luft sich bis zur Undurchsichtigkeit, wurde dicht wie Gewitterwolken. Aber sie hatte die Färbung von Luftverschmutzung, den erstickenden und geschädigten Farbton industrieller Abgase. Von den Bergen hinter ihr erstreckte diese Schicht sich, so weit sie nach allen Richtungen sehen konnte, und verbarg sogar den Fuß des Felsturms. Unter dem Smog, wohin ihre Sinne nicht reichten, konnte das Land sich in eine Wüste verwandelt haben.
    Und er war unrecht. Augen und Nase, ihre Gesichtsnerven, sogar ihre Zunge waren sich dessen sicher; das Schrillen ihres Sinnes für das Gesunde ließ keinen Zweifel aufkommen. Der Smog war böse wie das Sonnenübel und ebenso allgegenwärtig, lag wie ein Leichengewand über gemordetem Fleisch, als ob die lebendige Schönheit, für deren Erhaltung sie einst ihr Äußerstes getan hatte, zur Bestattung aufgebahrt sei. Ihre Wahrnehmung sagte ihr, dass der beißende gelbe Nebel ein gewalttätiger Akt gegen das Grundgesetz der Natur des Landes war, konnte Linden jedoch nicht Ursache, Wirkung oder Zweck des Smogs enthüllen.
    Ich bin zufrieden.
    Gott im Himmel! Was hatte der Verächter getan?
    Linden wich unwillkürlich in die Mitte der Plattform zurück und umschlang ihren Oberkörper mit den Armen, wie um ihre Verzweiflung im Zaum zu halten. Jetzt fürchtete sie den Abstieg vom Kevinsblick auf neue Weise. Die Treppe war nicht nur gefährlich, sie würde sie auch in dieses gelbe Leichentuch hinabführen. Linden erinnerte sich an das Sonnenübel und fürchtete, der unheimliche Smog könnte ihre empfindlichen Nerven überreizen, könnte sie so schwer verletzen, dass sie das Gleichgewicht verlor ... Während sie sich vor Sorgen wand, hörte sie durch die leichte Brise hindurch ein neues Geräusch. Ihr Säuseln wurde durch scharrende Laute unterbrochen, als ob Haut in verzweifelter Hast über Stein schürfe.
    Wo ...? Ein rascher Blick in die Runde zeigte ihr nur den klaren Himmel, die hoch aufragenden Berge und die giftig gelbe Smogschicht. Das Geräusch schien von der Treppe herzukommen – von jemandem, der zu ihr hinaufstieg.
    Weil sie Angst hatte, sank sie wieder auf die Felsplattform. Dann schob sie sich auf dem Bauch liegend vorwärts, um verstohlen durch die Lücke in der Brüstung am oberen Treppenende zu spähen. Dort hörte sie das Scharren deutlicher. Hände und Füße auf dem Fels; raues, holpriges Atmen.
    Einige Herzschläge später tauchte ein Kopf aus der gelben Wolke auf. Ein Gewirr aus fettigem grauem Haar schlängelte sich bis zu den Schultern eines zerrissenen, schmutzigen Kittels hinunter, der einst braun gewesen sein mochte. Ein Mann – das wusste sie sofort. Ein alter Mann. Seine Hände, die sich an den Treppenstufen festklammerten, sahen knorrig verkrümmt,

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