Die Runen der Erde - Covenant 07
gellte in ihren Ohren wie Totenglocken. Kein Wunder, dass Anele den Verstand verloren hatte, dachte Linden. Die Frau, die sie einst gewesen war, hätte sich jetzt womöglich hingekauert, sich die Ohren zugehalten; doch heute verhielt sie sich anders. Heißer Zorn durchflutete sie, und sie zweifelte nicht im Geringsten an sich selbst. Von Erinnerungen an silberne Magie beflügelt, stürmte sie die kurze Strecke wie ein Lauffeuer bergauf. Als sie Aneles zerfetzten Kittel mit beiden Fäusten packte, schien sie dicht davor zu sein, wilde Magie anzuwenden – imstande, willentlich in Flammen zu explodieren.
»Foul, du Scheißkerl«, fauchte sie in Aneles tränennasses Gesicht, »hör mir zu. Kannst du durch diesen erbärmlichen Alten mit mir reden, kannst du mich bestimmt auch hören. Du bist erledigt. Du weißt es nur noch nicht. Tust du meinem Sohn das Geringste an, reiße ich dir das Herz aus dem Leib. Auf Gnade kannst du nur hoffen ...«, ihre Stimme schrillte vor Zorn, »... wenn du ihn unversehrt freilässt!«
Anele sträubte sich schwach gegen ihren harten Griff, aber Lord Foul gab ihn nicht frei. »Närrin! Ich habe kein Herz. Ich habe nur Finsternis. Deshalb strebe ich danach, mich zu befreien. Und deshalb gebe ich auch nicht nach, obwohl meine Qualen unermesslich sind. Du bist machtlos gegen mich. Kein Sterblicher kann sich mir in den Weg stellen. Ich besitze jetzt Weißgold, und mein Triumph ist sicher.«
»Wart es nur ab«, murmelte Linden. Sie trat bewusst einen Schritt zurück und ließ Anele los. Sie war zu zornig, um mit dem Verächter Drohungen auszutauschen, und sie wollte ihren Zorn nicht an dem Alten auslassen. Er konnte nichts für die Worte, die aus seinem Mund kamen. »Rede meinetwegen, so viel du willst. Von mir hörst du erst wieder, wenn ich dich aufgespürt habe.« Sie kehrte Anele den Rücken zu, setzte sich ins Gras und schloss die Augen. Für kurze Zeit erwies ihre Erschöpfung sich als Segen: Sie konnte darin versinken und ihre Ohren vor allem verschließen, was Lord Foul vielleicht noch sagen würde.
Ich habe deinen Sohn.
Oh, Jeremiah. Halt durch. Bitte. Ich hole dich irgendwie zurück. Ich schwöre es dir bei meiner Seele.
Ich besitze jetzt Weißgold ...
Er hatte Joans Ring an sich gebracht. Die arme verstörte Frau hatte ihn mitgebracht. Und sie musste Roger mitgezogen haben, genau wie er Linden mitgezogen hatte. Linden konnte sich nicht vorstellen, dass er zurückgelassen worden war, um an seinen Schusswunden zu sterben.
... und mein Triumph ist sicher.
Wie viele Feinde habe ich?, dachte Linden niedergeschlagen. Gegen wie viele muss ich kämpfen, um meinen Sohn zurückzubekommen?
Aber im Augenblick hatte sie dringendere Sorgen. Sie war sehr erschöpft und musste sich auf Nahrung und Wasser konzentrieren. Sie brauchte einen Unterschlupf. Musste ausruhen. Die intensive Beschäftigung mit solchen Notwendigkeiten würde sie davor bewahren, in Mutlosigkeit zu versinken.
Der Stab des Gesetzes hätte Kevins Schmutz unmöglich machen müssen.
Sie öffnete die Augen und suchte die Hügel ab. Vielleicht floss irgendwo zwischen ihnen ein Bach. Selbst wenn es keinen gab, musste sie imstande sein, irgendwie den Fluss Mithil zu erreichen. Was Nahrung betraf ...
Trotz der Zäsuren und Kevins Schmutz gediehen hier im Land, so hoffte sie, sicher noch Schatzbeeren. Vor langer Zeit hatte nicht einmal das Sonnenübel ihr Wachstum beeinträchtigen können; sie waren selbst ohne die segensreiche Wirkung des ursprünglichen Stabes gediehen. Covenant und sie, Sunder und Hollian hatten manchmal nur von Aliantha gelebt und waren davon sogar stärker geworden. Waren die knorrigen Sträucher nicht irgendwie vernichtet worden, mussten sie leicht zu finden sein.
Linden zwang sich, wegen ihrer Prellungen leise stöhnend, zum Aufstehen. Anele stand wie angewurzelt im Gras; er hielt den Kopf schief, und ein verzweifelter Ausdruck glomm in seinen tränennassen Mondsteinaugen. Er weinte noch immer, obwohl er nicht mehr sprach. Tränen zogen Spuren über das schmutzige Gesicht, ehe sie in seinem Zottelbart versickerten. Seine Lippen bewegten sich lautlos und formten Flüche oder Bitten, die unhörbar blieben.
»Komm jetzt«, forderte sie ihn müde auf. »Wenn du mit deinen Verwünschungen fertig bist, wollen wir Wasser suchen. Und Nahrung.« Weil seine stumme Verzweiflung sie anrührte, fügte sie hinzu: »Bekomme ich nicht bald wenigstens etwas Wasser, fange ich selbst zu heulen an.«
Vielleicht würde er
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