Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
die zehn Runen der Herrschaft sowie die sieben Runen der Sicht eingraviert waren, spiegelte das schwache Sonnenlicht und blendete Sorcha mitunter. Seine Handschuhe und sein Riemen lagen auf einem samtbezogenen Gestell auf dem Marmorsims des Kamins. Er war das einzige Mitglied des Ordens, das beide Disziplinen praktizieren durfte – selbst die übrigen Äbte konnten nur eine betreiben. Um solche Macht auszuüben, war ein außergewöhnlicher Mann erforderlich.
Und mit Hastler saß Sorcha ein respekteinflößender Mann gegenüber. Obwohl sie seine Methoden kannte, gab sie nach und brach das Schweigen. »Also … wann beginnt die episkopale Untersuchung?«
Seine leuchtend blauen Augen richteten sich plötzlich direkt auf sie, und jeder Anschein von Freundlichkeit war dahin. Bei seiner Prüfung zum Diakon, so wollte es das Gerücht, hatte er als Aktiver wie als Sensibler derart große Fähigkeiten gezeigt, dass die Entscheidung, welches von beidem er wählen würde, äußerst knapp ausgefallen war. Am Ende hatte er sich für den Sensiblen entschieden, und die Handschuhe hatte er erst bei seiner Erhebung zum Erzabt genommen. Von seinem Blick gebannt, begriff Sorcha diese Tatsache bis ins Innerste. Sie verstand, dass er sie buchstäblich durchschauen konnte – ein Talent, das in seiner Position zweifellos sehr nützlich war.
»Vielleicht solltet Ihr Euch nach Eurem Mann erkundigen statt nach den Konsequenzen der Aktivierung Teisyats?« Seine Stimme blieb ruhig, als würden sie über die Glaubenslehre reden und nicht über die Wahrscheinlichkeit ihres Hinauswurfs aus dem Orden.
Sie versuchte, so ruhig wie möglich zu sprechen. »Ich war die ganze Nacht bei Kolya, Ehrwürdiger Vater. Ich weiß, dass er genesen wird.«
»Irgendwann vielleicht. Aber er wird monatelang dienstuntauglich sein. Der Geist hat einen schrecklichen Tribut von ihm gefordert.« Der Erzabt stellte seine halb geleerte Tasse ab, verschränkte die Hände und wartete darauf, dass sie alles offenlegte.
Wenn er wollte, konnte er ohnehin alles sehen. Kolya hatte einmal erwähnt, was Menschen zurückhielten, sei manchmal vielsagender als das, was sie verrieten. Abgesehen von den Verletzungen ihres Mannes und ihrer möglichen Entlassung beunruhigte sie vor allem die Natur des Geistes, der für beides verantwortlich war.
»Es war kein normales unlebendes Wesen«, begann sie.
»Offensichtlich.«
»Von seiner Größe her hätte man es sofort erkennen sollen, aber um es zu spüren, mussten Kolya und ich uns zusammentun.«
»So etwas ist nicht unbekannt.«
»Aber der Geist hat unsere Verbindung gelesen, Ehrwürdiger Vater. Er hat meine Gedanken gelesen und sich dann gegen Kolya gewandt, als könnte er bewusste Entscheidungen treffen. Das übersteigt doch die Fähigkeit von allem, was aus der Anderwelt kommt!«
Seufzend lehnte sich der Erzabt in seinem Stuhl zurück, und diesmal war es Sorcha, die darauf wartete, dass er das Wort ergriff. Im Obstgarten war das Zwitschern der Vögel zu hören, untermalt vom leisen Gemurmel der Novizen, die zu ihren Stunden und Aufgaben unterwegs waren. Schließlich wandte er sich ihr wieder zu, das Gesicht gefurcht von Sorge. »Auch so etwas hat es bereits gegeben.«
Die zerbrechliche Tasse klirrte, als Sorcha sie vorsichtig absetzte. Sie räusperte sich. »Ich weiß, ich bin nicht in alles eingeweiht, was Ihr erfahrt, Ehrwürdiger Vater, aber ich würde meinen, solche Informationen wären für die Diakone draußen im Feld wertvoll.«
Er antwortete nicht sofort, sondern stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Bevor er sich erneut niederließ, reichte er ihr ein Schriftrollenetui. Es trug das erhabene goldene Siegel der Hand, die viele Bänder greift, das Symbol des Kaisers.
»Das kam heute vor Sonnenaufgang. Lest es jetzt nicht; über die Einzelheiten könnt Ihr später nachgrübeln. Im Wesentlichen geht es darum, dass es im Nordosten eine Welle von Übergriffen durch Unlebende gibt.«
»Dann reitet die Abtei nach …«
»Nein.«
Die knappe Antwort verwirrte Sorcha über alle Maßen. Der Orden war die ersten beiden Jahre der Kaiserherrschaft von einem Krisenherd zum nächsten gejagt. Da die Klöster des Kontinents schon lange verfallen waren, hatten die Unlebenden das Land überrannt. Die Diakone, die mit dem Kaiser gekommen waren, hatten mit deren Beseitigung kaum Schritt halten können, obwohl das ihre vorrangige Aufgabe gewesen war. Jetzt jedoch sagte der Erzabt, sie würden sich nicht hinausbegeben und sich
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