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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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sie wirkte ruhig und gefaßt. Custodis setzte sich auf einen Stuhl und streckte die Beine aus.
    »Der Mord wurde mit einer Armbrust begangen. Dein Sohn besitzt eine Armbrust, nicht wahr?«
    Anna nickte kaum merklich.
    »Wofür braucht er die?«
    »Er arbeitet manchmal für den Freibauern Genno. Er schießt Wild für ihn.«
    Custodis lachte grimmig. »Ja, Menschenwild. Wo ist er?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie log, und das war auch Custodis klar. Hätte sie gewußt, in welcher Gefahr sie sich befand, sie hätte sich irgendeine Ausrede ausgedacht. Vielleicht dachte sie aber auch, Custodis würde ohne ihren Sohn wieder abziehen, und so tappte sie blind in seine Falle.
    »Soldat!« brüllte er, »ich lasse mir keine Lügen auftischen. Nehmen wir sie mit, oder erledigen wir das unangenehme Geschäft gleich hier?«
    Der Ire kam näher und zuckte nur mit den Schultern. Anna sah sich gehetzt um und tastete nach dem Messer in der Tasche ihres Umhangs.
    Der fette Kerl war gefährlich, fuhr es ihr blitzschnell durch den Kopf, ein Wichtigtuer, aber gefährlich. Der Mann an seiner Seite schien erschöpft und krank. Fieberaugen. Schlechte Säfte in seinem Leib. Und dieser dunkle Soldat mit seinen meergrünen Augen? Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie hatte ihn schon einmal gesehen. So wie sie schon einmal gelebt hatte. Doch das war alte Magie, darauf verstand sich heute keiner mehr. Der Soldat strahlte etwas aus, das ihre Aura berührte.
    Ihre Hand fuhr in die Tasche, ergriff das Messer. Vor einer Stunde hatte sie noch Sauerampfer damit geschnitten. Sich damit die Pulsadern aufzuschneiden war nicht weiter schwer, doch brauchte es dazu Zeit und eine ruhige Hand, und beides hatte sie nicht. Sie würde es trotzdem versuchen. Zwei Schnitte über die Adern, doch schon sprang der Soldat nach vorn und packte die messerführende Hand. Blut tropfte auf den Boden, dunkles, schweres Blut, aber der Schnitt, den sie sich beigebracht hatte, reichte nicht aus, um sie zu töten.
    Jemand stieß den Iren zur Seite.
    »Verbindet Sie«, befahl Custodis, »und dann nehmen wir sie mit.«
    In dem Gewölbe brannte nur eine Fackel. Ein Fenster gab es nicht. Man hatte es vor Jahren von draußen zugeschüttet. An den Wänden hingen eiserne Ringe für die Ketten, aber die hatte hier noch niemand benutzt. Ratten huschten über den Boden, verschwanden durch ein Loch in der Tür, vor dem ein Soldat Wache hielt. Es war eisig kalt, und der stechende Geruch von Urin lag in der Luft.
    Sie hatten die Frau auf altes Stroh gelegt, das schon brüchig war und staubte. Hier war ewig keiner mehr gewesen. Anna lag da und ließ die Augen geschlossen, während der Ire ihr den Arm abband, um die Blutung zu stillen. Dann legte er ein Tuch auf und hielt es fest auf die Wunde gepreßt. Die Frau schlug die Augen auf.
    »Ich kenne Euch«, hörte er sie flüstern, »es war kein anderes Leben, es war hier.«
    »Sei still«, fuhr er sie an. Aber sie lächelte nur.
    »Kennst du die Runensprüche? Aber nein, du kommst woanders her. Aber du kennst den Zauber, wie man die Nebel ruft, wie man den heiligen Kreis aus Steinen zieht …«
    Sie sah ihm offen in die Augen. Er erwiderte ihren Blick. »Mein Großvater kannte ihn. Und wenn dir dein Leben lieb ist, hältst du den Mund. Auch meinetwegen.«
    Sie nickte ernst. »Hilf meinem Jungen. Er ist ein guter Kerl. Er weiß nichts von dem alten Zauber, aber er hat immer zu uns gehalten. Du kannst ihm vertrauen. Aber kann er auch dir vertrauen?«
    Cai antwortete nicht. Gehörte sie zu dem Garten, den er gefunden hatte? Er kannte die Runen nicht, aber er kannte andere magische Alphabete und Buchstaben. Wenn die hier eine alte Hexe war, die sich mit Zauberei ihren Lebensunterhalt verdiente, dann hatte Custodis gefunden, was er suchte – zwar keine Mörderin, aber eine, die er bestimmt genauso gerne der Gerichtsbarkeit überantworten würde. Alte Hexen peitschte man aus und trieb sie aus der Stadt und der menschlichen Gesellschaft, denn Aberglaube war ein Übel, das jeder fürchtete.
    Und Runenmeisterinnen, also solche, die noch die uralte Kunst des Runenorakels kannten, waren schwarze Krähen, die nicht Gott das Schicksal überließen, sondern es aus verwitterten, zerkratzten Steinen lasen. Die an einen Gott glaubten, der – welche gotteslästerliche Blasphemie – so, wie Christus am Kreuz, am Galgen gehangen haben sollte. Nur hatte dieser Gott an seinem Galgen jene Runen empfangen, die ihn angeblich weise gemacht hatten, denn mit ihnen

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