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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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nichts merken, denn für einen gewöhnlichen Menschen ist die eine Krankheit wie eine andere. Aber …«
    Maria sah auf. »Ja?«
    »Der Arzt«, überlegte Rosalie, »der wird sofort Bescheid wissen. Wenn, was überaus wahrscheinlich ist, Euer Herr auf die Idee kommt, seinen Arzt hinzuzuziehen, wird er ahnen, was geschehen ist. Die Zeichen sind eindeutig: Übelkeit, Kopfweh, Blutungen, Zeichen wie bei einer Vergiftung, und wenn man es genau betrachtet, dann ist es auch eine. Kein Fieber, das ist das wichtigste Indiz, Ihr werdet kein Fieber haben, und der Ire wird sich fragen …«
    Sie sprach es nicht zu Ende. Maria starrte sie an, blankes Entsetzen in den Augen. »Nein«, sagte sie und stand auf. »Das geht nicht.«
    Wie eine Traumwandlerin schritt sie aus der Tür. Rosalie sah sie den Weg zur Burg hinaufgehen und war verwirrt. Womit hatte sie sie so sehr vor den Kopf gestoßen? Warum durfte der Arzt nichts wissen, der doch verschwiegen war wie ein Grab? Oder hatte sie Angst, er würde seinem Herren alles erzählen?
    Rosalie ging wieder an ihre Arbeit zurück, doch der Zustand der Herrin machte ihr Sorgen. Sie wartete darauf, daß Maria zurückkäme, um noch einmal mit ihr zu reden, und tatsächlich kam sie zwei Tage später wieder in ihre Hütte.
    »Mir bleibt keine Wahl«, sagte sie. Man sah ihr die schlaflosen Nächte an, die endlosen Grübeleien, das Dilemma, aus dem sie sich nicht mehr zu befreien vermochte. Tränen standen plötzlich in ihren Augen.
    »Ich hätte gern ein Kind gehabt«, flüsterte sie, »aber Gott hat es nicht gewollt. Und dieses Kind darf ich nicht bekommen.«
    Schweigend bereitete Rosalie den Trank vor. Schüttete das Kraut in einen Becher, löste es mit Wasser, gab ein wenig Hagebuttensaft dazu, damit es nicht so bitter schmeckte, und reichte Maria den Becher. Sie trank, gab den Becher zurück und verließ wortlos die Hütte.
    Alles kommt, wie die Götter es vorgesehen haben.
    Rosalie blieb an diesem Abend in der Hütte allein. Starrte auf die glühende Kohlenpfanne, und das Herz war ihr schwer. Am nächsten Morgen ging sie in die Küche, denn sie wußte, hier würde sich die Neuigkeit als erstes verbreiten. Mägde und Köche waren schwatzhaft wie die Stare. Und kaum hatte sie den Raum betreten, als ihr die Worte auch schon entgegenflogen. Die Herrin sei krank, und der Herr mache sich Sorgen. Er habe seinen Arzt zu ihr geschickt, aber der habe nichts tun können. Er sei nicht einmal in der Küche gewesen und habe um irgendwelche Kräuter gebeten. Er wandle durch die Burg wie der Schatten des Leibhaftigen. Ob er denn bei ihr gewesen sei, wo sie doch auch Heilpflanzen in der Hütte habe?
    Rosalie ging in die Hütte zurück. Sie konnte nicht mit ihm reden, denn sie band das Versprechen, das sie der Herrin gegeben hatte. Und wenn er nicht zu ihr kam, dann war es um so besser.
    Sie wagte nicht, Maria aufzusuchen. Verkroch sich wie eine Maus in ihrem Mauseloch und wartete ab. Böse Geister suchten sie heim, die raunten ihr zu, die Dosis sei zu stark gewesen, und die Herrin ringe mit dem Tod. Pater Clemens drohte ihr im Schlaf mit dem Fegefeuer, er stieß sie mit einer Mistgabel hinein in den Höllenschlund, und sie erwachte schweißgebadet. Was hatte sie getan? Was hatte ihre Mutter getan? Sie hatte sie gelehrt, wie man die Frucht abtrieb, so wie sie sie gelehrt hatte, Kinder auf die Welt zu bringen. Sie hatte ihr auch gezeigt, wie man die Gebärrunen warf.
    Ihre Unruhe wuchs und wuchs. Wieder ging sie in die Küche. Die Herrin lag im Bett, hörte sie, der Herr sei besorgt, der Arzt noch einmal bei ihr gewesen. Rosalie nahm die Köchin beiseite und riet ihr, Maria mit Salbei vermischten Honig zu geben und ihr den Bauch mit Salbeiwasser einzureiben, und die Köchin nickte verständig.
    »Gutes Kind«, sagte sie lächelnd, »verstehst was von Kräutern, mehr als dieser Ire. Der gibt ihr gar nichts. Läßt sie da liegen in ihrem Unglück und starrt nur finster vor sich hin.«
    Wußte er wirklich nicht, was ihr fehlte, fragte sich Rosalie? Als die ersten drei Tage vorüber waren, wurde sie ruhiger. Das Schlimmste würde vorbei sein, aber was bliebe, war die Trauer um das Kind, das Maria nie haben würde.
    Am Abend des vierten Tages öffnete jemand fast geräuschlos die Tür zu Rosalies Hütte. Er mußte da schon eine Weile gestanden haben, während sie ihm den Rücken zukehrte und getrocknete Blüten in tönerne Krüge füllte. Sie drehte sich um und sah, wie er sich auf den Tisch setzte. Er begann,

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