Die russische Gräfin
nach diesem schweren Sturz erlitt, richtig?«
»Dadamals glaubte ich es.« Gallagher führte ruckartige Kopfbewegungen aus. Offenbar war ihm der Kragenknopf zu eng, doch er öffnete ihn nicht. Seine Hände umklammerten weiter das Geländer. »Ich habe den Totenschein nach bestem Wissen und Gewissen ausgestellt. Natürlich…« Er verstummte abrupt. Jedermann im Saal konnte sehen, wie peinlich ihm das alles war.
Harvester sah ihn streng an. »Haben Sie Ihre Meinung geändert, Dr. Gallagher? Etwa unter dem Eindruck der Zeitungsmeldungen über Sir Olivers Mutmaßungen gestern oder schon vorher?«
Gallagher bot ein Bild des Jammers. Seine Augen blieben starr auf Harvester gerichtet, als fürchtete er, Giselas Blick zu begegnen, wenn er einmal aufsah.
»Nein…, das nicht…, vor allem wegen der Zeitungsberichte. Andererseits hat mich vor kurzem ein privater Agent aufgesucht, und seine Fragen waren ziemlich beunruhigend. Nur habe ich ihnen damals keine große Bedeutung beigemessen.«
»Ihre Gedanken wurden also von anderen beeinflußt? Könnte dieser Agent zufällig im Auftrag Sir Olivers und seiner Mandantin gekommen sein?« Harvester deutete mit einer fast verächtlichen Geste in Zorahs Richtung.
»Ich…« Gallagher schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Er gab mir zu verstehen, es gehe ihm um den guten Ruf der Prinzessin und von Lord und Lady Wellborough.«
Die Menge brach in wütendes Gemurmel aus. Einer der Geschworenen schürzte die Lippen.
»Ach, wirklich?« fragte Harvester sarkastisch. »Nun, das mag ja sein, aber ich kann Ihnen versichern, daß er in keinerlei Verbindung mit Prinzessin Gisela steht. Und es würde mich wundern, wenn Lord und Lady Wellborough ihn beauftragt hätten. Ihr guter Ruf war nie gefährdet.«
Gallagher sagte nichts darauf.
»Wenn ich es recht bedenke, Doktor…« Harvester entfernte sich ein paar Schritte und drehte sich wieder um. »Glauben Sie immer noch, daß Ihre erste Diagnose zutraf? Starb Prinz Friedrich infolge innerer Verletzungen, erlitten bei diesem Reitunfall und möglicherweise verschlimmert durch heftiges Husten oder Niesen?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Ohne eine Autopsie der Leiche läßt es sich unmöglich feststellen.«
Der ganze Saal schnappte nach Luft. In der Galerie schrie eine Frau auf. Einer der Geschworenen sah extrem mitgenommen aus, als wäre dies soeben vor seinen Augen geschehen.
»Kann man beweisen, daß eine Verletzung als Todesursache ausgeschlossen ist, Dr. Gallagher?« bohrte Harvester nach.
»Natürlich nicht! Wenn das möglich wäre, hätte ich den Totenschein nicht unterschrieben.«
»Natürlich nicht!« wiederholte Harvester voller Genugtuung und breitete die Arme aus. »Ach, noch etwas. Ich nehme an, Sie haben dem Prinzen regelmäßig visitiert.«
»Selbstverständlich. Ich ging jeden Tag zu ihm. In den ersten Tagen nach dem Unfall sogar zweimal täglich, als dann aber das Fieber sank und sein Zustand sich besserte, nur noch einmal.«
»Wie lange nach dem Unfall starb er eigentlich?«
»Acht Tage danach.«
»Und wer sorgte in dieser Zeit für ihn?«
»Bei jedem meiner Besuche war die Prinzessin zugegen. Sie schien sich um all seine Bedürfnisse zu kümmern.«
Harvester senkte die Stimme. Mit eindringlichem Ton fragte er: »Pflegte sie ihn, Doktor, oder wollen Sie sagen, daß sie ihm auch das Essen kochte?«
Schlagartig herrschte im Saal Stille. Sie dröhnte geradezu in den Ohren. Auch heute war das Gericht zum Bersten voll, und die Leute saßen dicht an dicht auf ihren Bänken. Stoff rieb gegen Stoff, das Tuch von Fräcken gegen den Taft von Frauenkleidern – aber trotz all dem hätten die Zuschauer in diesem Moment Wachsfiguren sein können.
»Nein«, sagte Gallagher mit fester Stimme. »Sie kochte nicht. Mir wurde zu verstehen gegeben, daß ihr das nicht liege. Und von einer Prinzessin erwartet man dergleichen ohnehin nicht. Soviel ich gehört habe, ging sie nie in die Küche. Ja, mir wurde gesagt, daß sie in all den Tagen bis zum Tod des Prinzen die Suite nie verließ, nachdem man ihn verletzt nach oben gebracht hatte. Sie war außer sich vor Sorge.«
»Danke, Dr. Gallagher«, sagte Harvester freundlich. »Sie haben sehr klar Stellung bezogen. Mehr habe ich im Augenblick nicht zu fragen. Sir Oliver wird sicher auch ein paar Punkte mit Ihnen erörtern wollen. Wenn ich Sie also bitten darf, sich ihm zu Verfügung zu halten.«
Gallagher wandte sich Rathbone zu, der nun aufstand und vortrat. Monk hatte ihm von
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