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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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untergehen. Wie blind er nur gewesen war, daß er ihre innere Schönheit so lange übersehen oder vielmehr ihren Wert verkannt hatte!
    »Sir Oliver«, ermunterte ihn der Richter.
    Das Gericht wartete. Er mußte beginnen, egal was er zu sagen hatte, egal wieviel oder wie wenig Wert es hatte. Ahnten die Leute überhaupt, wie hoffnungslos sein Fall war? Wenn er den Ausdruck auf Harvesters hagerem Gesicht richtig wertete, konnte er davon ausgehen, daß er es genau wußte. Seine Züge verrieten sogar ein gewisses Mitleid, wenn auch keineswegs die Bereitschaft, ihn zu schonen.
    Rathbone räusperte sich. »Baron von Emden, Sie waren in der Zeit von Prinz Friedrichs Unfall, seiner scheinbaren Genesung und seinem überraschenden Tod in Wellborough Hall zu Gast. Ist das richtig?«
    »Ja, Sir, das ist korrekt«, erklärte Stephan. Er wirkte ruhig und sah Rathbone mit seinen haselnußbraunen Augen ernst an.
    »Wer war noch dort?« fragte Rathbone. »Außer dem Personal selbstverständlich.«
    »Graf und Gräfin von Seidlitz, Graf Rolf Lansdorff…«
    »Er ist der Bruder von Königin Ulrike, nicht wahr?« fiel ihm Rathbone ins Wort. »Der Onkel von Prinz Friedrich?«
    »Ja.«
    »Wer noch?«
    »Baronin Brigitte von Arlsbach, Florent Barberini und Gräfin Rostova. Der Prince of Wales…« Er kam nicht weiter. Der ganze Saal brach in aufgeregte Schreie aus. Mindestens fünf Geschworene reagierten nicht minder heftig, und sogar der Richter zeigte sich betroffen. Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Falte, und er beugte sich vor, als wolle er etwas sagen.
    Die Warnung des Lord Chancellors dröhnte Rathbone wieder in den Ohren, und ihm wurde erneut bang zumute. Doch jetzt konnte er nichts mehr zurücknehmen. »Fahren Sie bitte fort«, sagte er mit rauher Stimme. Seine Kehle war wie ausgetrocknet.
    »Der Prince of Wales und seine Begleiter waren zwei-, dreimal beim Dinner zu Gast, dazu die in der Nachbarschaft lebenden Colonel und Mrs. Warboys mit ihren drei Töchtern und Sir George und Lady Oldham mit ein oder zwei Töchtern, deren Namen ich vergessen habe.«
    Harvester runzelte die Stirn, verzichtete aber bislang auf einen Einspruch. Freilich war Rathbone klar, daß er protestieren würde, wenn er nicht bald zur Sache kam.
    »Überraschte es Sie, daß Baronin von Arlsbach und Graf Lansdorff zur selben Gesellschaft eingeladen wurden wie Prinz Friedrich und Prinzessin Gisela?« fragte er. »Es war doch bekannt, daß Friedrich daheim nicht mehr wohlgelitten war, nachdem er sein Land verlassen hatte, vor allem bei seiner Familie nicht und auch nicht bei Baronin von Arlsbach, die das Land sich als Königin gewünscht hätte. Oder stimmt das nicht?«
    »Doch«, antwortete Stephan widerstrebend. Nicht nur wegen Brigitte, sondern auch aus persönlichen Gründen war es für ihn als Patrioten ein peinliches Thema, das er lieber nicht in der Öffentlichkeit erörtert hätte. Sein Gesicht verriet deutlich seine Empfindungen.
    »Waren Sie also überrascht?« drängte Rathbone, während er innerlich den Lord Chancellor sich drohend nähern sah.
    »Bei einer anderen politischen Konstellation wäre ich es mit Sicherheit gewesen«, antwortete Stephan.
    »Würden Sie das bitte genauer erklären?«
    Harvester stand auf. »Euer Ehren, die Gästeliste steht nicht zur Diskussion. Es ist bekannt, wer da war und wer nicht. Sir Oliver versucht nur aus Verzweiflung, Zeit zu schinden.«
    Der Richter wandte sich mit ausdruckslosem Gesicht Harvester zu. »Es bleibt mir überlassen, zu entscheiden, wofür das Gericht seine Zeit verwendet, und ich möchte Sir Oliver einen gewissen Spielraum bewilligen, sofern er ihn nicht mißbraucht. In erster Linie geht es mir um die Wahrheit in der Frage, ob Prinz Friedrich ermordet wurde oder nicht, und falls ja, von wem. Wenn wir das wissen, können wir gegen Gräfin Rostova das angemessene Urteil in bezug auf ihre Beschuldigung ergehen lassen.«
    Doch Harvester war alles andere als zufrieden. »Euer Ehren, wir haben bereits bewiesen, daß meine Mandantin, Prinzessin Gisela, die einzige Person ist, die nicht schuldig sein kann. Abgesehen von ihrer Liebe zu ihrem Mann und dem Fehlen eines Motivs, haben wir aufgezeigt, daß sie als einzige weder die Mittel noch die Möglichkeit hatte, einen solchen Mord zu begehen.«
    »Ich war zugegen, als die jeweiligen Aussagen gemacht wurden, Mr. Harvester«, entgegnete der Richter. »Oder glauben Sie, ich hätte nicht aufgepaßt?«
    Ein Auflachen ging durch den Saal, und einige

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