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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Geschworene grinsten.
    »Nein, Euer Ehren! Selbstverständlich nicht!«
    Harvester hatte sichtlich die Fassung verloren. Es war das erste Mal, daß Rathbone ihn so durcheinander erlebte.
    »Sehr schön«, brummte der Richter mit einem leisen Lächeln.
    »Fahren Sie fort, Sir Oliver.«
    Rathbone verneigte sich zum Zeichen des Dankes, doch er hatte keine Illusionen über die Breite seines Spielraums.
    »Baron von Emden, könnten Sie uns erklären, was die Gästeliste mit der politischen Lage zu tun hatte?«
    »Als Prinz Friedrich vor zwölf Jahren zugunsten seines Bruder Waldo von der Thronfolge zurücktrat, damit er Gisela Berentz, die von der königlichen Familie nicht akzeptiert wurde, heiraten konnte, nahmen ihm das viele sehr übel. Noch zorniger war man jedoch auf Gisela.« Stephan sprach mit ruhiger, fester Stimme, die allerdings nicht die eigenen schmerzhaften Empfindungen verdecken konnte. »Insbesondere die Königin konnte diesen Schlag nicht verwinden. Ihr Bruder, Graf Lansdorff, wie auch die Baronin von Arlsbach teilten ihre Gefühle uneingeschränkt. Wie Sie wissen, hatten sich viele in unserem Land gewünscht, daß Friedrich sie heiraten würde, und wohl auch damit gerechnet. Diese Entwicklung war ihr also um so peinlicher, da alles darauf hingewiesen hatte, daß sie dem Ruf der Pflicht gehorchen und Friedrichs Antrag annehmen würde.«
    Stephan wirkte bedrückt, doch er redete ohne zu stocken weiter. »Graf von Seidlitz dagegen reiste oft nach Venedig, das Prinz Friedrich und Prinzessin Gisela zu ihrem Hauptwohnsitz gemacht hatten, womit sie sich allerdings sämtliche Sympathien am königlichen Hof von Felzburg verscherzten.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß auch noch nach zwölf Jahren das Gefühl, verraten worden zu sein, immer noch so tief saß, daß man unmöglich mit beiden Seiten befreundet sein konnte?« unterbrach Rathbone.
    Darüber dachte Stephan eine ganze Weile nach. Der Richter beobachtete ihn aufmerksam.
    Im Saal war bis auf gelegentliches Knarren von Stühlen oder Rascheln von Kleidern kein Laut zu hören.
    Gisela saß steif da. Einmal wenigstens verriet ihr Gesicht Gefühle. Ihre Lippen waren zusammengekniffen, ihre behandschuhten Hände geballt, doch es ließ sich nicht erkennen, was es war, das sie aufwühlte.
    »Die Vergangenheit spielte nicht die einzige Rolle«, antwortete Stephan, den Blick auf Rathbone gerichtet. »Neue politische Gegebenheiten sind entstanden, die den alten Themen eine ungeahnte Aktualität verleihen.«
    Harvester rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, wußte aber, daß ein Einspruch nichts bewirken würde. Man würde das Verhör nur um so ernster nehmen.
    »Könnten Sie das bitte erklären?« bat Rathbone.
    »Mein Land ist eins von einer Anzahl von deutschen Fürstentümern und Staaten mit einer gemeinsamen Sprache und Kultur. Seit einiger Zeit gibt es eine immer stärker werdende Bewegung mit dem Ziel der Vereinigung unter einem König und einer Regierung. Natürlich läßt sich bei einer solchen Vielfalt von Staaten keine Einigkeit erzielen. Die einen sehen Vorteile in einem Zusammenschluß, während andere bereit sind, für ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu kämpfen. Mein eigenes Land ist in dieser Frage geteilt. Sogar die Königsfamilie ist darüber uneins.«
    Jetzt hing der ganze Saal an seinen Lippen. Einige von den Geschworenen schüttelten den Kopf. Als Untertanen eines Inselstaates leuchtete ihnen das Bekenntnis zur Unabhängigkeit durchaus ein, mit dem Herzen vermochten sie die Angst, geschluckt zu werden, jedoch nicht zu erfassen. Kein Wunder, in England hatte es dergleichen seit fünfzig Generationen nicht mehr gegeben.
    »Ja?« half Rathbone Stephan nach.
    Stephan wollte offenbar die innere Zerstrittenheit seines Landes nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten, doch er wußte, daß er keine andere Wahl hatte.
    »Die Königin und Graf Rolf sind leidenschaftliche Anhänger der Unabhängigkeit, Kronprinz Waldo ist für die Einheit.«
    »Und die Baronin von Arlsbach?«
    »Unabhängigkeit.«
    »Graf von Seidlitz?«
    »Vereinigung.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Er hat kein Geheimnis daraus gemacht.«
    »Hat er sie befürwortet?«
    »Nicht direkt offen, aber er hat ihre möglichen Vorteile ins Gefecht geführt. Außerdem hat er sich mit hochrangigen preußischen Politikern angefreundet.«
    Protestgemurmel ging durch den Saal. Allerdings rührte es wohl eher von spontanen Gefühlen her als von reiflichem Nachdenken.
    »Und wie dachte Prinz

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