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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihm gesagt hatte. Jetzt verachtete er also Victoria. Wie so viele andere betrachtete er sie als unrein und nicht als Opfer. Als ob sie ihren Mißbrauch herausgefordert und verdient hätte! Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Es war ein unverzeihlicher Fehler gewesen, es ihm zu sagen.
    Dann sah sie, daß Roberts Augen in Tränen schwammen.
    »Das hat man ihr angetan?« flüsterte er. »Und die ganze Zeit, die sie hier war, hat sie nur an mich gedacht! Wie… wie konnten Sie zulassen, daß ich so egoistisch bin!«
    Jetzt ergriff Hester spontan seine Hand und drückte sie. »Das war kein Egoismus«, sagte sie eindringlich. »Sie konnten es ja nicht wissen, und ich hatte wirklich kein Recht, es Ihnen zu sagen. Dafür ist es zu persönlich. Aber ich…, ich konnte es nicht ertragen, daß Sie glauben…« Sie hielt inne. Der Rest blieb wohl besser unausgesprochen.
    Auf einmal fing er an zu lächeln. »Ich weiß.«
    Sie wußte nicht, ob er wirklich verstanden hatte, aber sie würde es gewiß nicht überprüfen.
    »Ich werde ihr nicht verraten, daß Sie es mir gesagt haben«, versprach er. »Zumindest jetzt noch nicht. Es wäre ihr nur peinlich, nicht wahr?« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Und meinen Eltern werde ich erst recht nichts sagen. Es ist ja nicht mein Geheimnis, und außerdem würden sie es wahrscheinlich nicht richtig verstehen.«
    Hester wußte, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. In Bernds Augen war Victoria Stanhope nicht der passende Umgang für seinen Sohn, vor allem nicht auf Dauer und schon gar nicht als Freundin oder vielleicht noch mehr. Aber fürs erste war sie unendlich erleichtert.
    »Ist sie nicht die schönste Frau auf der ganzen Welt?« schwärmte Robert mit leuchtenden Augen. »Danke, daß Sie sie zu mir gebracht haben, Hester. Mein Leben lang werde ich Ihnen dafür dankbar sein.«

11
    Rathbone begann Zorah Rostovas Verteidigung mit dem Mut der Verzweiflung. Am Anfang hatte er schlimmstenfalls damit rechnen müssen, es würde ihm nicht gelingen, ihr eine Blamage und eine empfindliche Geldstrafe zu ersparen. Er hatte gehofft, mildernde Umstände geltend machen zu können, indem er ehrenwerte Motive nachwies, obwohl sie sich natürlich getäuscht hatte.
    Jetzt kämpfte er, um sie vor dem Strick zu retten.
    Die Luft war zum Schneiden dick im hoffnungslos überfüllten Gerichtssaal. Die Leute hatten derart eng zusammenrücken müssen, daß man Stoff gegen Stoff rascheln und Korsettstangen knarren hörte, wenn Frauen atmeten. Aus Hunderten von durchnäßten Mänteln strömte der Geruch nach feuchter Wolle, denn draußen regnete es in Strömen. Der Boden war überall rutschig von den vielen kleinen Pfützen, die sich unter den Mänteln und Stiefeln gebildet hatten. Die Fenster waren mit Kondenswasser beschlagen, und man hatte das Gefühl, die Luft sei längst aufgebraucht.
    Die Reporter saßen Ellbogen an Ellbogen und hatten kaum Platz zum Schreiben. Gleichwohl warteten sie mit gezückten Federn und feuchtem Papier in den Händen auf die Eröffnung der Verhandlung.
    Die Geschworenen saßen mit ernster Miene da. Ein Herr mit weißem Schnurrbart spielte unaufhörlich mit seinem Taschentuch. Ein anderer lächelte Gisela flüchtig zu, um gleich wieder wegzusehen. Niemand schaute Zorah an.
    Dann wies der Richter den Verteidiger an zu beginnen. Rathbone löste sich von seinem Stuhl und rief Stephan von Emden auf. Der Gerichtsdiener wiederholte den Namen, seine Stimme versackte nahezu in dem überfüllten Raum. Das ansonsten übliche Echo blieb aus.
    Alle warteten mit gereckten Hälsen auf den Zeugen. Ihre Augen folgten Stephan, als dieser eintrat, nach vorne schritt und die Stufen zum Zeugenstand erklomm. Da die Verteidigung ihn gerufen hatte, ging man davon aus, daß er zu Zorahs Gunsten aussagen würde. Die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlug, war förmlich mit Händen zu greifen.
    Als Rathbone nach der Vereidigung auf ihn zutrat, fühlte er sich so verletzlich wie bei noch keinem seiner zahllosen Fälle. Er hatte auch schon Mandanten gehabt, die sogar er verdächtigt hatte, und solche, an die er zwar geglaubt, deren erfolgreiche Verteidigung er sich aber gar nicht zugetraut hatte. Noch nie war er sich aber seiner Irrtümer, seiner Fehlbarkeit so bewußt gewesen wie jetzt. Das einzige, woran er vorbehaltlos glaubte, war Hesters Freundschaft. Das hieß zwar nicht, daß sie sein Urteil für richtig hielt, aber sie würde immer zu ihm stehen, und mochte er im Gerichtssaal

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