Die russische Gräfin
Mit Menschen, die ich mag, konnte ich nie so sprechen, wie sie es getan hat, aber wahrscheinlich habe ich nie wirklich begriffen, was sie empfanden.« Aufkommender Wind stellte ihm die Haare hoch. Im Westen bewölkte sich der Himmel.
»Zorah hat Gisela von Anfang an für egoistisch gehalten – eine Frau, die um des Ranges willen geheiratet hat und sich dann um die Krönung ihres Ruhms betrogen fühlte. Die meisten glaubten an eine Liebesheirat, und damit hatte sich der Fall. Wäre Zorah nicht zu klug gewesen, um ihre Meinung zu sagen, hätten sie ihr nur Neid und Eifersucht unterstellt. Sie und Gisela konnten einander nie ausstehen. Sie sind in ihrem Wesen grundverschieden.«
»Aber Sie glauben Zorah?«
»Ich glaube, daß sie aufrichtig ist.« Stephan zögerte. »Aber ich bin mir nicht absolut sicher, daß sie recht hat.«
»Und doch setzen Sie alles daran, um mir bei ihrer Verteidigung zu helfen?«
Stephan zuckte die Achseln, doch unvermittelt lächelte er sein Gegenüber strahlend an. »Ich mag sie… ich mag sie sehr gern.
Und ich halte es sehr wohl für möglich, daß Friedrich ermordet wurde. Und wenn das der Fall ist, müssen wir es klären. Man darf Prinzen nicht ermorden und sich dann einfach umdrehen. Soviel schulde ich meinem Land.«
Ein ganz anderes Bild bot sich Monk, als er mit Evelyn einen wunderbaren Nachmittag im Rosengarten verbrachte. Dort waren sie vor dem Wind geschützt, die Blumen standen in voller Blüte und umhüllten sie mit ihrem schweren, süßen Duft. Kletterrosen rankten sich an den Säulen und Bogen empor; prächtige Rosenbüsche, die aussahen wie mit Blüten bedeckte Hügel, säumten zu beiden Seiten die Wege durch das Gras. Von allen Seiten waren Monk und Evelyn von Farben und Düften umgeben. Ihre gewaltigen Krinolinenröcke streiften den Lavendel in den Beeten und lösten neue Geruchswolken aus.
»Was Zorah da getan hat, ist wirklich unsäglich!« rief Evelyn, Ihre Augen waren ungläubig geweitet, ihre Stimme bebte vor Empörung. »Sie war ja schon immer etwas merkwürdig, aber das ist sogar für ihre Verhältnisse unglaublich!«
Als sie über Steinstufen zur nächsten Empore emporstiegen, bot Monk ihr seinen Arm an, und sie hängte sich mit der größten Selbstverständlichkeit ein. Wie eine Feder hing ihre schöne, zierliche Hand an seinem Ärmel. Ihn erstaunte, welche Freude er bei ihrer Berührung empfand.
»Ach, wirklich?« fragte er in beiläufigem Ton. »Warum halten Sie sie denn für so merkwürdig? Sie kann doch unmöglich glauben, daß ihre Vorwürfe zutreffen. Schließlich spricht alles dagegen.«
»Natürlich!« lachte Evelyn. »Was hätte Gisela denn schon auch davon gehabt? Brutal ausgedrückt, genoß sie dank Friedrich Reichtum, einen hohen Rang und ein glanzvolles Leben. Als Witwe hat sie keinen Rang mehr, und Felzburg wird sie links liegenlassen, so daß ihr Vermögen ziemlich bald aufgebraucht sein wird, wenn sie ihren gewohnten Lebensstil in dieser Form weiter pflegt. Und, glauben Sie mir, sie hat ihn gründlich genossen. Friedrich gab Unsummen für sie aus: Edelsteine, Kleider, Kutschen, der Palast in Venedig, Feste, Reisen, wohin sie auch wollte. Zugegeben, sie blieben immer in Europa – anders als Zorah, die in den absonderlichsten Gegenden gewesen ist.« Sie blieb vor einer weinroten Bourbonenrose stehen und sah zu Monk auf. »Verstehen Sie mich richtig, was will eine Frau denn in Südamerika? Oder in der Türkei, am Nil oder in China? Ausgerechnet China! Kein Wunder, daß sie nie geheiratet hat. Wer würde sie schon wollen? Sie ist ja nie da!« Sie stieß ein glockenhelles Lachen aus. »Ein geachteter Mann will eine Frau, die weiß, wie sie sich zu benehmen hat, und die nicht rittlings auf Pferden über Felder jagt, in Zelten schläft und sich auch noch mit Männern aus den unteren Ständen unterhält.«
Monk wußte, daß ihre Schilderung Zorahs Charakter genau traf; auch er würde nicht mit einer solchen Person verheiratet sein wollen. Er fühlte sich zu sehr an Hester Latterly erinnert, die genauso stur und unverblümt war. Andererseits konnte er sich eine Freundschaft mit dieser tapferen und interessanten Frau gut vorstellen, wenn auch nicht mehr.
»Und Gisela ist anders?« half er nach.
»Und ob!« Seine Frage schien Evelyn zu erheitern. Sie kicherte leise. »Sie liebt die Annehmlichkeiten des Lebens und sie ist unterhaltsam. Bei ihr wirkt auch das Banalste interessant und lustig. Diese Gabe haben die wenigsten. Der junge Prince of Wales
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