Die russische Gräfin
sie gewesen sein.«
»Und wer ist es im Augenblick?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht Florent Barberini, aber das ist alles andere als gewiß.«
»Er hat auch von Gisela geschwärmt…«
Stephans Züge spannten sich an. »Ich weiß. Vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht.« Er nippte an seinem Weißwein.
»Soll ich Ihnen ein bißchen über die Gesellschaft heute abend erzählen?«
»Gern.« Monk hatte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Ging es unter den venezianischen Adeligen ähnlich förmlich zu wie unter den englischen? Würde er sich genauso fehl am Platze, ja ausgeschlossen fühlen wie in dem elitären Zirkel um die Wellboroughs?
»Aus Felzburg werden etwa achtzig Leute erwartet«, sagte Stephan nachdenklich. »Ich habe dieses Fest ausgewählt, weil viele darunter Zorah, Gisela und natürlich auch Friedrich kennen. Es werden auch viele Venezianer kommen. Danach werden Sie das Exilleben in Venedig vielleicht etwas besser verstehen. An der Oberfläche ist es sehr fröhlich, aufwendig und verfeinert. Blickt man aber tiefer, fehlt jede Zielgerichtetheit.« Ein mitleidiger Ausdruck trat in sein Gesicht. »Viele träumen von der Rückkehr nach Hause und sprechen auch davon, als stünde sie unmittelbar bevor, aber sie wissen, daß das nie der Fall sein wird. Die eigenen Verwandten wollen sie nicht mehr haben. In ihren Geburtshäusern leben längst andere.«
Monk konnte die Entfremdung auf Anhieb nachempfinden. In den ersten Monaten nach seinem Unfall hatte er sich ja auch einsam und isoliert gefühlt. Keinen Menschen hatte er gekannt, nicht einmal sich selbst. Er war ein Mensch gewesen, der nirgendwohin gehörte, ohne Ziel und Identität und seiner Wurzeln beraubt.
»Bedauerte Friedrich seine Entscheidung?« fragte er unvermittelt.
Stephans Augen wurden eine Spur enger. »Das glaube ich nicht. Er schien Felzburg nicht zu vermissen. Wo immer Gisela war, dort fühlte er sich zu Hause. Er verließ sich auf sie; sie war alles, was er brauchte.«
Eine Windböe fegte über den Platz, und der Gestank von Abwässern stieg ihnen in die Nasen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich König werden wollte«, fuhr Stephan fort. »Das Leben am Hof war natürlich glanzvoll, das Volk liebte ihn, und er hätte seine Aufgaben allesamt ohne weiteres bewältigt, aber die strenge Disziplin war ihm zuwider.«
Monk war überrascht. »Disziplin?« Daran hätte er zuletzt gedacht.
Stephan nippte wieder an seinem Wein. Hinter ihm sah Monk zwei Frauen mit sich bauschenden Röcken vorbeigehen. Sie steckten lachend die Köpfe zusammen und redeten auf französisch miteinander.
»Dachten Sie, Könige tun, worauf sie gerade Lust haben?« fragte Stephan kopfschüttelnd. »Sagen Sie, sind Ihnen die österreichischen Soldaten auf der Piazza aufgefallen?«
»Sicher.«
»Glauben Sie mir, im Vergleich zu Königin Ulrike sind sie ein undisziplinierter Haufen. Sie steht um halb sieben am Morgen auf, um die Banketts des Tages und die Feste am Abend zu organisieren. Sie schreibt Briefe und empfängt Besucher. Dann berät sie sich mit dem König, ermutigt ihn, gibt ihm Ratschläge. Die Nachmittage verbringt sie mit den Damen, die sie in ihre Richtung beeinflussen will. Am Abend zieht sie die prachtvollsten Kleider an, um beim Dinner alle anderen Frauen auszustechen. Bis Mitternacht unterhält sie sich angeregt mit ihren Gästen. Sie ist immer bis in die Haarspitzen konzentriert. Daß sie mal gelangweilt oder müde wirken würde, das gibt es bei ihr nicht. Und am nächsten Tag geht es genauso weiter.«
Mit einem schalkhaften Blitzen in den Augen musterte er Monk über den Rand seines Glases hinweg. »Eine meiner Cousinen gehört ihrem Hofstaat an. Sie liebt sie und zugleich graut ihr vor ihr. Sie sagt, es gebe nichts, was Ulrike nicht tun könnte oder würde, wenn sie es als nützlich für die Krone erachtete.«
»Friedrichs Verzicht muß sie zutiefst getroffen haben«, sinnierte Monk laut. »Aber zu einem schien sie nicht bereit zu sein: Sie konnte nie ihren Haß gegen Gisela verwinden, selbst wenn damit die Chancen für die Unabhängigkeit gestiegen wären.«
Stephan starrte in sein Glas. Die Piazza um sie herum war in sanftes Sonnenlicht gebadet. Das Licht hier draußen wirkte ganz anders als das auf dem Wasser tanzende Glitzern. Der Wind hatte sich nun wieder gelegt.
»Das überrascht mich allerdings«, brummte Stephan. »Es paßt überhaupt nicht zu ihrem Wesen. Ulrike vergibt nicht, aber sie hätte Galle geschluckt,
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