Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
– und bequem – fühlen. Sie leben im Herzen eines Reichs, das die ganze Erde umfaßt.« Sie geriet immer mehr in Rage. »Egal welcher Erdteil, Ihre britischen Rotjacken haben dort gekämpft, haben die Eingeborenen unterworfen, sie, ob sie wollten oder nicht, zum Christentum bekehrt und ihre Prinzen gelehrt, sich wie echte Engländer zu benehmen.«
    Sie hatte ja recht! Rathbone kam sich auf einmal entsetzlich künstlich und aufgeblasen vor.
    »Sie haben vergessen, was es heißt, Angst zu haben«, setzte sie mit vor Erregung tiefer, rauher Stimme nach. Sie stand mit dem Rücken zum Feuer. »Sie brauchen keine Nachbarn zu beobachten und sich zu fragen, wann Sie geschluckt werden. O ja, ich weiß, daß Sie in Ihren Geschichtsbüchern über so etwas lesen. Sie haben von Napoleon und König Philip von Spanien gelernt. Ihr Land stand kurz vor der Eroberung, und Sie kämpften mit dem Rücken zu Wand. Aber Sie haben sie ja geschlagen. Sie gewinnen doch immer.« Ihr Körper spannte sich unter dem Seidenkleid an, ihr Gesicht war wutverzerrt. »Nun, wir werden nicht gewinnen, Sir Oliver. Wir werden verlieren. Vielleicht noch heute, vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren, aber unsere Niederlage ist besiegelt. Das einzige, was wir in der Hand haben, ist die Art und Weise, wie wir uns ins Unvermeidliche fügen. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie man sich in einer solchen Lage fühlt? Ich glaube nicht.«
    »Im Gegenteil!« widersprach Rathbone. Sein Ton war süffisant, obwohl ihm nicht nach Triumphieren zumute war. Vielleicht brauchte er irgendeinen Schutz nach seinem Fehlurteil und der Erkenntnis seiner Verletzlichkeit. »Ich kann mir eigene Niederlagen äußerst lebhaft vorstellen und bin drauf und dran, eine vor Gericht zu erleiden.«
    Noch während er das sagte, wurde ihm klar, daß sein persönlicher kleiner Mißerfolg in keinem Verhältnis zu den Niederlagen von Nationen stand, die ihre in Jahrhunderten gewachsene Identität und ihre Freiheit, gleich wie illusorisch beides sein mochte, verloren.
    »Sie geben auf!« Es war eine verächtliche Feststellung, keine Frage.
    »Ich stelle mich der Realität.« Obwohl Rathbone sich vorgenommen hatte, Ruhe zu bewahren, ließ er sich provozieren. Aber er wollte verhindern, daß sie das merkte.
    »Das ist die Kehrseite der Medaille. Wir haben keine andere Wahl. Es ist meine Pflicht, Sie über die Fakten und den erfolgversprechendsten Weg aufzuklären und dann mit Ihnen eine Entscheidung zu treffen.«
    Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. »Ob ich mich vor der Schlacht ergebe oder bis zur Niederlage kämpfe? Was für eine nette Ironie des Schicksals! Felzburg steht nämlich vor genau demselben Dilemma. Was mein Land betrifft, spreche ich mich gegen die Unterwerfung aus, obwohl wir keine Gewinnchancen haben. Was mich betrifft, so wähle ich den Krieg.«
    »Auch den können Sie nicht gewinnen«, warf er widerstrebend ein. Wie unwohl er sich dabei fühlte, ihr die Wahrheit sagen zu müssen! Sie war stur, naiv, arrogant und selbstgerecht, aber sie hatte Mut und einen ganz eigenen Ehrbegriff. Und vor allem kämpfte sie voller Leidenschaft. Die Niederlage würde sie verletzen, und dieses Wissen schmerzte ihn.
    »Heißt das, ich soll meine Beschuldigung zurücknehmen, behaupten, daß ich gelogen habe, und diese Person um Vergebung bitten?«
    »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben. Die Frage ist nur, ob Sie es jetzt in aller Diskretion tun oder später vor Gericht, wenn die Haltlosigkeit Ihrer Vorwürfe bewiesen ist.«
    »Bei Gisela gäbe es keine Diskretion!« rief sie. »Sie würde schon dafür sorgen, daß jeder es erfährt, oder die Sache hätte für sie keinen Sinn. Aber das ist mir egal. Ich nehme nichts zurück. Sie hat ihn ermordet. Das steht fest, auch wenn Sie keinen Beweis dafür finden können.«
    Es ärgerte ihn, daß sie die Verantwortung ihm aufbürdete.
    »Vor dem Gesetz kommen Sie damit nicht weiter!« Er merkte selbst, wie verzweifelt er sich anhörte. »Womit kann ich es Ihnen nur begreiflich machen? Es ist gut möglich, daß wir den Verdacht, daß Friedrich ermordet wurde, mit gewichtigen Indizien untermauern können. Die Symptome sprechen eher für Vergiftung durch Eibenblätter als für innere Blutungen. Vielleicht gelingt es uns sogar, eine Exhumierung der Leiche und eine Autopsie zu erzwingen.« Er stellte befriedigt fest, daß sie zusammenzuckte. »Aber selbst wenn das Ergebnis uns recht gibt, bleibt Gisela die einzige Person, die nicht an die Eiben

Weitere Kostenlose Bücher