Die russische Gräfin
Szene kam Monk unwirklich vor. Hätte er nicht den Wind auf der Haut und das Schwanken des Bootes gespürt, hätte er glauben können, er sei Teil eines Bildes.
»Ihren letzten Liebhaber hat Zorah abgeschossen, als er sie verließ«, wiederholte sie ungerührt und sah mit ihren großen braunen Augen zu Monk auf.
»Und sie ist ungestraft davongekommen?« Monk konnte es nicht fassen.
»O ja. Es hatte alles seine Ordnung. Duelle werden in unserem Land akzeptiert.« Sie weidete sich an seiner verdutzten Miene und brach schließlich in Lachen aus. »Natürlich sind es normalerweise die Männer, die sich duellieren, und meistens mit dem Schwert. Ich glaube, Zorah hat sich bewußt für die Pistole entschieden. Sie war auch eine vorzügliche Fechterin, aber jetzt ist sie älter und wohl nicht mehr die Schnellste. Und er war ziemlich jung und sehr gut.«
»Und dann hat sie ihn erschossen?«
»Nein, nicht totgeschossen«, zwitscherte sie fröhlich. »Nur in die Schulter. Die Sache war furchtbar dumm. Sie kochte vor Wut, weil er bei einem Ball ständig mit einer viel jüngeren und sehr hübschen Frau herumturtelte. Das Ganze artete ein paar Tage später in einen bösen Streit aus. Zorahs Verhalten war wirklich abstoßend. Sie stolzierte mit Stiefeln und einer Zigarre im Mund in seinen Club und forderte ihn zum Duell. Um nicht als Feigling dazustehen, mußte er annehmen. Aber hätte er gewonnen, hätte er sich genauso blamiert.« Sie schmiegte sich an ihn. »Die Sache hat ihm unendlich geschadet. Ich fürchte, er hat sich zum Gespött der Leute gemacht. Und die Geschichte ist seither in den Erzählungen natürlich maßlos ausgeschmückt worden.«
Der Mann tat Monk ein bißchen leid. Er selbst konnte ja auch ein Lied von herrschsüchtigen Frauen singen. Eine äußerst unschöne Eigenschaft! Und wenn man dann zum Schaden auch noch den Spott hatte, erforderte es eine gehörige Portion Mut, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Und du glaubst, sie hat das mit dem Mord nur behauptet, um sich wieder in den Vordergrund zu schieben?« Er ließ die Finger sanft über ihre Wange und weiter über den Hals gleiten.
Sie lächelte. »Nicht ganz. Aber wenn sie heftige Gefühle hat, kennt sie keine Skrupel.«
»Was Gisela betrifft?«
»Und was die Vereinigung betrifft. Sie ist selten zu Hause, aber im Grunde ihres Herzens ist sie Patriotin. Sie liebt das Individuelle, das Außergewöhnliche und Extreme und die Freiheit zur persönlichen Entscheidung. Ich bezweifle, daß sie die Handelsvorteile und den Schutz sieht, die uns ein größerer Staat böte. Das mögen unromantische Vorstellungen sein, aber die meisten führen nun mal ein unromantisches Leben.«
»Und du?« fragte er und küßte ihren Hals. Ihre Haut war sanft und warm.
»Ich denke sehr praktisch. Ich weiß, daß Schönheit ihren Preis hat. Man kann keine großen Feiern, erbaulichen Kunstwerke, Theater, Opern oder Bälle haben, wenn das ganze Geld in die Rüstung fließt.« Sie fuhr mit den Fingern durch sein Haar. »Ich weiß, was es bedeutet, wenn ein Land erobert wir: Äcker werden zertrampelt, Dörfer zerstört, die Erträge verbrannt, und viele Menschen werden getötet. Es hat keinerlei Sinn, sich gegen das Unvermeidbare zu wehren. Da tue ich doch lieber so, als hätte ich es von Anfang an gewollt, und füge mich mit Würde.«
»Ist die Vereinigung denn unvermeidbar?« fragte er.
»Wahrscheinlich. Ich kenne mich mit Politik nicht besonders aus und schnappe nur immer wieder mal was auf.« Sie löste sich von ihm und sah ihm fest in die Augen. Aus ihrem Gesicht war jedes Lachen verschwunden. »Wenn du mehr wissen willst, solltest du mit mir nach Felzburg kommen. Wir brechen nächste Woche auf. Dann kannst du selbst herausfinden, ob es Pläne gab, Friedrich zurückzuholen, und ob ihn jemand ermordet hat, um das zu verhindern.«
»Eine hervorragende Idee!« Er küßte sie erneut. »Ja, ich glaube, das wird absolut notwendig sein.«
6
Rathbone riß Simms den Brief aus der Hand und brach das Siegel auf. Ein Brief aus Venedig. Das hieß, er mußte von Monk sein. Allerdings fiel sein Bericht kürzer aus als erhofft.
Lieber Rathbone!
Ich glaube, ich habe alle Mittel ausgeschöpft, mir hier in Italien Informationen zu beschaffen. Jeder schwärmt von Friedrichs und Giselas Romanze, selbst diejenigen, die nicht viel von ihnen – insbesondere von ihr – hielten. Je weiter ich in diesem Fall vordringe, desto unwahrscheinlicher erscheint es mir, daß Gisela ihn getötet
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