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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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die Annahme, sie hätte schon vorher für den Fall eines Falles einen Apparat zum Destillieren von Eibensaft raufgeschafft, ginge wohl doch etwas über das Glaubhafte hinaus.«
    »Offenbar haben Sie das auch der Gräfin gesagt und ihr geraten, sich zu entschuldigen.« Hester stellte bewußt keine Frage. Damit hätte sie Rathbone nur beleidigt. Angesichts seiner momentanen Nervosität hätte sie es nie gewagt, anzudeuten, er hätte etwas übersehen, was eigentlich in sein Fachgebiet fiel. Jetzt war viel Fingerspitzengefühl gefordert. Ein unbedachtes Wort, und er ließ sie nicht mehr an sich heran.
    »Ja, das habe ich.« Er sah auf seine Fingerspitzen hinab. »Sie weigert sich«, fuhr er fort, bevor sie etwas fragen konnte. »Ich kann sie nicht im Stich lassen, auch wenn sie wirklich töricht ist. Ich habe ihr versprochen, daß ich tun werde, was ich kann, um ihre Interessen zu schützen.«
    Sie zögerte einen Moment, weil sie befürchtete, er könnte auf ihre nächste Frage keine Antwort wissen. Aber verzichtete sie darauf, würde er sich den Grund denken können. Sie sah es seinen Augen an, die auf ihr ruhten.
    »Was können Sie tun?«
    »Nicht genug.« Ein verzerrtes, selbstironisches Lächeln huschte über seine Lippen.
    »Egal was?« Sie durfte nicht lockerlassen. Vielleicht mußte er mit jemandem reden. Mit den Soldaten auf den Schlachtfeldern hatte sie die Erfahrung gemacht, daß eine Angst, die man in Worte faßte, manchmal ihre Schrecken verlor. Je länger sie unausgesprochen blieb, desto übermächtiger, alptraumhafter wurde sie. Aber eine Schlacht war immer noch schlimmer. Voller Grauen und Mitleid dachte sie an die blutigen Felder nach jedem Gemetzel, doch sie mußte ihre Gefühle von damals vergessen, wenn sie jetzt leben und helfen wollte. Nichts an diesem Fall ließ sich mit der Vergangenheit vergleichen. Aber das konnte sie Rathbone nicht sagen. Für ihn war das hier Kampf – und Katastrophe.
    Er sammelte seine Gedanken. Noch immer saß er auf dem Schreibtisch, aber er spielte nicht mehr mit den Papieren.
    »Wenn wir beweisen können, daß es Mord war, lenken wir die Leute vielleicht davon ab, daß sie die Falsche beschuldigt hat«, sagte er langsam. »Leider weiß ich nicht viel über Prinzessin Gisela. Ich glaube, ich muß mehr über ihr früheres Verhältnis zu Zorah wissen. Ferner brauche ich einen Überblick über ihre momentanen Vermögensverhältnisse. Das würde mir eine Schätzung der Höhe ihrer Forderungen erlauben.« Er biß sich auf die Lippe. »Wenn sie Zorah so abgrundtief haßt, wie es umgekehrt der Fall ist, dann wird sie wahrscheinlich ihren Ruin betreiben.«
    »Ich werde zusehen, daß ich selbst etwas in Erfahrung bringen kann«, versprach Hester eilig. Sie war erleichtert, daß sie etwas tun konnte. »Baron und Baronin Ollenheim kannten beide recht gut. Wenn ich es geschickt anstelle, erzählt mir die Baronin sicher eine ganze Menge über Gisela. Zorah ist ihr wahrscheinlich egal. Gisela hat ja gewonnen, und das dem Anschein nach mühelos.«
    Rathbone runzelte die Stirn. »Gewonnen?«
    »Den Kampf um Friedrich«, erklärte Hester ungeduldig.
    »Zorah war seine Geliebte, bis Gisela kam. Zumindest war sie eine ihrer Vorgängerinnen. Danach schaute er keine andere mehr an. Zorah hat also gute Gründe, Gisela zu hassen. Aber was sollte Gisela schon gegen Zorah haben? Seit Friedrichs Tod ist sie so deprimiert, daß es ihr wahrscheinlich gar nicht auf Rache wegen der Verleumdung ankommt. Wenn ihre Unschuld erwiesen ist, wird sie sich wohl erleichtert aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Es dürfte ihr genügen, daß ihr Ruf als Romantikerin wiederhergestellt ist. Mehr noch, man wird sie als edle Heldin bewundern, wenn nicht sogar verehren.«
    Mit einem Schlag hellte sich seine Miene wieder auf.
    »Hester, Sie haben ein erstaunliches Einfühlungsvermögen!
    Wenn ich Gisela davon überzeugen kann, daß Nachsicht in ihrem Interesse läge und daß sie damit eine noch glanzvollere Rolle spielen würde, dann nur mit Ihren Argumenten.« Er sprang vom Schreibtisch herunter und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. Jetzt wirkte er freilich nicht mehr angespannt, sondern freudig erregt. »Natürlich darf ich sie nicht persönlich ansprechen. Vielmehr muß ich das im Gerichtssaal zwischen den Zeilen sagen. Sie brauchte es nur aufzugreifen…« Er hob beide Hände, wie um etwas zu erfassen. »Das ist es: Das Verzeihen als so verlockend darstellen, daß sie hellhörig wird; darauf aufmerksam

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