Die russische Gräfin
Fassung kämpfend. »Er meint es nicht so. Ich weiß, daß Sie mit uns so sprechen, weil Robert damit am ehesten geholfen ist. Bitte helfen Sie mir, es ihm zu sagen.«
»Natürlich.« Hester hätte Dagmar fast angeboten, es ihr ganz abzunehmen, aber dann war ihr klargeworden, daß Dagmar später das Gefühl gehabt hätte, ihren Sohn aus Schwäche im Stich gelassen zu haben. Für sie selbst war es notwendig, es ihm persönlich zu sagen. Ob Robert es so wollte, das war eine andere Frage.
Sie gingen gemeinsam zur Tür. Der Arzt folgte ihnen.
Bernd wirbelte herum, als wolle er ihnen noch etwas nachrufen, doch dann überlegte er es sich anders. Er wußte, daß er es allen mit seinen aufgewühlten Gefühlen nur schwerer machen würde.
Oben klopfte Dagmar bei Robert an. Als sie seine Stimme hörte, stieß sie die Tür auf und trat, gefolgt von Hester, ein.
Wie gewöhnlich saß Robert aufrecht im Bett. Sein Gesicht war jedoch kreidebleich.
Dagmar blieb mitten im Zimmer stehen.
Hester hätte es so gerne an ihrer Stelle gesagt. Sie unterdrückte den Impuls. Ihre Kehle war auf einmal wie zugeschnürt.
Robert starrte Dagmar an. Einen Moment lang glomm Hoffnung in seinen Augen, dann nur noch Angst.
»Es tut mir leid, mein Liebling«, begann Dagmar. Ihre Worte klangen heiser, weil sie mit den Tränen kämpfte. »Es wird nicht mehr besser. Wir müssen uns darauf einstellen und das Beste daraus machen.«
Robert klappte den Mund auf. Er ballte die Fäuste und sah sie stumm an. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.
Dagmar trat einen Schritt näher und blieb abermals stehen. Hester wußte, daß Worte jetzt nichts helfen konnten. Noch war der Schmerz zu überwältigend. Später würde mit Sicherheit Wut an seine Stelle treten, für eine Weile zumindest, danach Verzweiflung, Selbstmitleid, und schließlich würde er es akzeptieren und anfangen, sein Leben danach auszurichten.
Dagmar ging nun auf ihn zu, setzte sich auf die Bettkante, ergriff seine Hand und hielt sie. Er erwiderte ihren Druck, als konzentriere sich sein ganzer Verstand, sein ganzer Wille auf diesen einen Körperteil. Seine Augen waren geradeaus ins Leere gerichtet.
Hester entfernte sich diskret und zog die Tür hinter sich zu. Am nächsten Vormittag sah Hester Bernd wieder. Sie saß im grünen Frühstückszimmer vor dem Kamin und schrieb in Dagmars Auftrag Erklärungen an Freunde der Familie, als Bernd eintrat.
»Guten Morgen, Miss Latterly«, begrüßte er sie steif. »Ich glaube, ich schulde Ihnen eine Entschuldigung für meine Worte gestern. Ich wollte Sie nicht verletzen. Ich bin Ihnen… zutiefst dankbar für die Fürsorge, mit der Sie meinen Sohn behandeln …«
Sie legte lächelnd die Feder beiseite. »Das habe ich auch nie bezweifelt, Sir. Ihr Kummer ist nur zu verständlich. Jeder würde so fühlen wie Sie. Bitte geben Sie sich nicht weiter damit ab.«
»Meine Frau hat mir gesagt, daß ich… barsch war.«
»Das habe ich schon vergessen.«
»Danke. Sie kümmern sich doch hoffentlich weiter um Robert? Er wird jetzt viel Hilfe brauchen. Selbstverständlich werden wir einen geeigneten männlichen Pfleger anstellen, aber bis dahin…«
»Wird er lernen, selbständig viel mehr zu tun, als Sie ihm zutrauen. Er ist behindert, aber er ist nicht länger krank. Die größte Hilfe wäre ein bequemer Rollstuhl, mit dem er herumfahren kann.«
Bernd zuckte zusammen. »Wie er das hassen wird! Die Leute werden alle… Mitleid mit ihm haben. Er wird sich…« Er konnte nicht mehr weiterreden.
»Er wird bis zu einem bestimmten Grad Unabhängigkeit erreichen«, vollendete sie für ihn. »Die Alternative wäre, im Bett zu bleiben. Das ist aber überhaupt nicht nötig. Er hat immer noch seine Hände, seinen Verstand und seine Sinne.«
»Er wird ein Krüppel sein!« Bernd sprach in der Zukunft. Offenbar weigerte er sich nach wie vor, die Gegenwart als real anzuerkennen, weil sie zu unerträglich war.
»Er kann seine Beine nicht mehr benutzen«, erwiderte sie vorsichtig. »Sie müssen ihm helfen, dafür die anderen Körperteile verstärkt zu gebrauchen. Gut, bestimmte Menschen werden ihn vielleicht bemitleiden, aber nur, solange er vor Selbstmitleid zerfließt.«
Bernd sah sie müde an. Er wirkte erschöpft. Er hatte Ringe um die Augen, und sein Gesicht war blaß. »Ich glaube ja gern, daß Sie recht haben, Miss Latterly«, sagte er nach einem langen Augenblick. »Aber Sie haben leicht reden. Ich weiß, Sie haben viele junge Männer gesehen, die im Krieg
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