Die russische Gräfin
Sie mir den Garten zeigen? Bitte.«
»Ich würde mich so…« Er verstummte abrupt.
»Denken Sie nicht daran, wie Sie sich fühlen würden!« fiel sie ihm ins Wort. »Tun Sie es einfach! Oder wollen Sie den ganzen Rest Ihres Lebens im Bett verbringen?«
»Unterstehen Sie sich…« Seine Stimme erstarb. Wieder trat lange anhaltendes Schweigen ein.
Diesmal war es Victoria, die es brach. »Kommen Sie mit?« Und tatsächlich betätigte Robert die Klingel an seinem Bett. Hester strich sich die Schürze glatt und klopfte an.
»Treten Sie ein«, antwortete Robert. Sie stieß die Tür weit auf.
»Wären Sie so freundlich, den Lakaien zu bitten, mir die Treppe hinunter zu helfen, Hester?« Robert biß sich nervös auf die Lippen und sah ihr mit einem teils ängstlichen, teils selbstironischen Blick in die Augen. »Miss Stanhope möchte, daß ich ihr den Garten zeige.«
Hester hatte Rathbone versprochen, so viel wie möglich über Zorah, Gisela und alles, was ihm sonst noch nützlich sein konnte, in Erfahrung zu bringen. Daneben reizte sie auch eine rein persönliche Neugier. Was mochte nur Zorahs verwegenen Beschuldigungen zugrunde liegen? Welche Emotionen mochten diese zwei so verschiedenen Frauen und den Prinzen angetrieben haben? Aber noch dringender als all das beschäftigte sie die Sorge um Rathbone. Er hatte den Fall mit den besten Absichten angenommen, um im Laufe der Ermittlungen zu erkennen, daß sämtliche Beweismittel die Theorie von Giselas Schuld widerlegten und nichts zur Verteidigung von Zorahs Verhalten vorgebracht werden konnte. Auf einmal deutete am Höhepunkt seiner jüngst mit dem Adelstitel gekrönten Karriere alles auf eine Katastrophe hin. Wie kurzlebig doch der Erfolg sein konnte! Seine Kollegen würden ihm nie verzeihen, daß er aus dem allgemeinen Verhaltenskodex ausgeschert war und eine Königsfamilie eines Verbrechens bezichtigt hatte, das sich durch nichts belegen ließ.
Und Zorah würde erst recht niemand verzeihen. Sie hatte gegen alle Regeln rebelliert. Es konnte kein Zurück mehr geben, weder für sie noch für ihre Verbündeten, es sei denn, es ließe sich nachweisen, daß sie nicht aus Eigennutz gehandelt hatte.
Es war im Haus der Ollenheims nicht leicht, auf Resonanz zu stoßen, wenn man sich über Zorah unterhalten wollte. Roberts Tragödie überschattete alles andere. Hester war frustriert. Rathbone ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, und mit jedem Tag wurde seine Lage verzweifelter. Bereits Ende Oktober, also in weniger als zwei Wochen, sollte der Prozeß beginnen.
So unbehaglich ihr dabei zumute war, weil sie riskierte, sich durch ungeschicktes Vorgehen weitere Gespräche zu verbauen, mußte Hester versuchen, das Thema Zorah anzuschneiden. Dagmar saß im Licht der Nachmittagssonne vor dem offenen Fenster und besserte die Stickerei auf einem Blusenkragen aus. Allerdings war sie nicht ganz bei der Sache. Hauptsache, ihre Finger hatten etwas zu tun. Hester setzte sich in einigem Abstand auf einen Stuhl und nahm ebenfalls eine Näharbeit zur Hand, eins von Roberts Nachthemden, dessen Ärmel sich abzulösen drohte. Sie zog den Faden durch die Öse, stülpte sich einen Fingerhut über und machte sich an die Arbeit.
Wenn sie noch etwas in Erfahrung bringen wollte, dann war jetzt die letzte Gelegenheit. »Gehen Sie eigentlich zu dem Prozeß?«
Dagmar sah überrascht aus. »Prozeß? Ach, Sie meinen den gegen Zorah Rostova! Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht.« Sie warf einen Blick durchs Fenster in den Garten, wo Robert in einem Rollstuhl saß, den Bernd ihm gekauft hatte. Weil Victoria heute nicht gekommen war, las er allein. »Ob ihn friert?« fragte sie besorgt.
»Wenn ihm kalt ist, kann er sich ja die Decke überhängen.«
Hester kämpfte ihre Irritation zurück. »Und der Stuhl läßt sich wirklich gut fahren. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich so mit Ihnen rede, aber es ist besser für ihn, wenn Sie ihn so viel wie möglich selbst machen lassen. Wenn Sie ihn wie ein hilfloses Kind behandeln, wird er auch hilflos.«
»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Dagmar mit einem wehmütigen Lächeln. »Natürlich schafft er das allein. Sie müssen mich für kindisch halten.«
»Überhaupt nicht!« rief Hester und meinte es auch so. »Nur für traurig und unsicher in Ihrem Verhalten ihm gegenüber. Ich nehme an, der Baron geht hin?«
»Wohin?«
»Zum Prozeß.« Und mochte es noch so gezwungen wirken, Hester durfte das Gespräch jetzt nicht abbrechen. Allzu deutlich sah sie
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