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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sagte. Das Protokoll am Hof ist sehr streng. Da gab es immer einen Minister oder Ratgeber, der ihn darauf aufmerksam machte, welche Haltung die richtige war, wie er sich korrekt zu benehmen hatte, welche Worte er mit wem wechseln, wem er Komplimente machen und wen er ignorieren sollte, was sich gehörte und was nicht. Gisela lachte nur über so etwas und meinte, er solle sich ganz einfach vergnügen. Als Kronprinz könne er doch tun und lassen, was er wolle.« Sie zuckte die Achseln. »Natürlich geht es so nicht. Je höher man steht, desto strikter muß man sich an seine Pflichten halten. Aber sie stammte nicht aus einer Adelsgeschweige denn einer Königsfamilie. Deshalb fehlte ihr jedes Verständnis. Aber gerade darum konnte sie ihn wohl so verzaubern. Bei ihr erlebte er eine nie gekannte Freiheit. Sie machte sich über den Hof lustig, der sein ganzes Leben bestimmt hatte. Sie war witzig, ketzerisch und voller Lebensfreude.« Sie holte tief Luft und ließ sie mit einem Seufzer entweichen. »In Ulrikes Augen war sie verantwortungslos, egoistisch und eine Gefahr für den Thron.«
    »Aber wäre sie nach der Hochzeit nicht irgendwann zur Vernunft gekommen?« fragte Hester. »Ich meine, als Frau des zukünftigen Königs.«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Dagmar traurig. »Die Königin gab ihnen ja nie ihren Segen.«
    Ein Windstoß wehte Laub von den Bäumen im Garten. Dagmar sah besorgt zu Robert hinüber.
    »Hat Brigitte Friedrich geliebt?« fragte Hester hastig.
    Dagmar wandte sich wieder ihr zu. »Das glaube ich nicht. Aber sie hätte ihn aufgrund ihres Pflichtbewußtseins geheiratet und wäre sicher eine gute Königin gewesen.«
    Hester war frustriert. Gräfin Rostova mußte Gisela abgrundtief hassen, wenn sie eine solche Beschuldigung gegen sie vorbrachte. Aber damit war Rathbone nicht geholfen. Im Gegenteil, seine Erfolgsaussichten sanken mit jedem neuen Detail! Sie beugte sich vor. »Glauben Sie, jemand anders mit einem konkreten Motiv könnte sie aufgewiegelt haben? Kennt sie jemanden, der persönlich davon profitieren würde, wenn sie solche haltlosen Behauptungen aufstellt?«
    »Das habe ich mich auch schon gefragt«, erwiderte Dagmar nachdenklich. »Ich habe mir das Hirn zermartert, aber keine Antwort gefunden. Wissen Sie, Zorah ist eine außergewöhnliche Frau, wild und ungemein willensstark. Einmal wäre sie fast umgebracht worden, weil sie irgendeinen übergeschnappten Revolutionär zu verteidigen suchte. ’48 war das. Der Unglücksrabe hielt mitten auf der Straße eine verrückte Rede und wurde von der Menge angegriffen. Da kam Zorah herbeistolziert und schimpfte wie ein Droschkenkutscher! Sie deckte die Meute mit den übelsten Beleidigungen ein und schoß mit der Pistole in die Luft. Weiß der Himmel, wo sie das Ding her hatte und wie sie es zu benutzen gelernt hat! Aber das Absurdeste daran war, daß sie mit dem, was dieser Mann da verkündete, gar nicht einverstanden war!« Sie schüttelte den Kopf. »Und doch kann sie überaus freundlich sein. Für Leute, mit denen sich sonst niemand abgegeben hätte, hat sie rührend gesorgt und hat so wenig Aufhebens darum gemacht, daß ich nur durch Zufall davon erfahren habe.«
    Gegen ihren Willen fand Hester diese Gräfin immer sympathischer. Aber warum nur? Zorah hatte Rathbone in eine unmögliche Situation gelockt. Sie hatte doppelten Grund, ihr böse zu sein: wegen der Raffinesse, mit der sie ihn so sehr betört hatte, daß er sein Urteilsvermögen verloren hatte, und wegen der Gefahr, in die er ihretwegen geschlittert war. Wenn sie sich selbst ruinieren wolle, so war ihr das unbenommen, aber einen anderen mit sich ins Verderben zu reißen, das war unverzeihlich!
    Aber sie mußte sich wieder auf das Machbare konzentrieren. Ihre Gefühle Zorah gegenüber waren unerheblich. »Könnte sie in jemanden verliebt sein, der sie für seine Zwecke benutzt?« fragte sie.
    Dagmar überlegte. »Zuzutrauen wäre ihr so etwas«, stimmte sie zu. »In der Tat wären blinde Liebe oder falsch verstandener Idealismus die einzigen Gründe, die noch einen Sinn ergeben würden. Vielleicht vertraut sie darauf, daß dieser Hintermann sie im letzten Moment rettet.« Ihre Augen nahmen einen weichen Ausdruck an. »Arme Zorah! Hoffentlich täuscht sie sich da nur nicht! Was ist, wenn sie tatsächlich ausgenutzt wird?«
    »Aber zu welchem Zweck nur? Vielleicht haben wir den falschen Ansatz gewählt. Wir sollten uns überlegen, wem der Prozeß etwas nützen würde. Gibt es da

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