Die russische Herzogin
davon, wenn sich ein Herr von Welt mit einer Dame der … sagen wir Halbwelt einlässt.«
»Dein Bruder ist verbannt worden? Nach Taschkent in Turkestan? Das liegt doch Abertausende von Meilen von St. Petersburg entfernt!« Wily schien ehrlich entsetzt, wohingegen Eugen von ihrer Geschichte unberührt wirkte.
»Keine Sorge, meine Etty ist eine anständige Person«, sagte er und erzählte strahlend, dass er der Tänzerin am Nachmittag einen Ring überreicht hatte.
Jedes Wort war ein Stich in Weras Herz. Die Vorstellung, wie »Etty« mit kokettem Augenaufschlag einen Fingerring aus Eugens Hand nahm, machte sie wütend. »Etty«, das klang kindisch. Und blöde. Wie konnte man nur so heißen?!
»Ihr Männer seid einfach unmöglich«, sagte sie ruppig. »Ihr glaubt bloß ein paar Juwelen aufblitzen lassen zu müssen, und schon ist euch jede Frau zu Willen. Du bist genau wie mein Vater! Eines sage ich euch …« Aufgebracht funkelte sie Wily und Eugen an. »Bei mir zieht diese Masche nicht, mein Zukünftiger muss mehr zu bieten haben als ein paar glitzernde Steine.«
»Himmel noch mal, was regst du dich so auf? Das mit Etty und mir geht dich doch gar nichts an. Oder … bist du selbst unglücklich verliebt?« Eugen betrachtete sie mit neuem Interesse.
»Habe ich etwas verpasst?«, blökte Wily sogleich. »Wenn ich darüber nachdenke … Mir würde tatsächlich jemand einfallen. Ein Herr, nach dem du dich heute Abend schon ausgiebig erkundigt hast.«
»Du redest wieder einmal nichts als dummes Zeugs daher. Und überhaupt: Meine Gefühle gehen dich nichts an.« Es hätte nicht viel gefehlt, und Tränen der Wut und Enttäuschung wären über WerasGesicht geflossen. Alles ging schief. Wily war unmöglich! Und Eugen war in eine Tänzerin verliebt. Warum nicht in sie?
»Wera hat recht«, sagte Eugen. »Nur die großen Gefühle zählen. Und deswegen werde ich morgen nach Ludwigsburg fahren, um beim besten Goldschmied ein Collier für Etty in Auftrag zu geben. Der Stuttgarter Juwelier scheint nicht der Richtige zu sein für solch eine außergewöhnliche Frau.«
Zwei Augenpaare schauten ihn entsetzt an.
»Du willst noch mehr Geld ausgeben für –«
»Du fährst nach Ludwigsburg?«, fiel Wera Wily ins Wort. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, krampfhaft suchte sie nach einem Vorwand, um Eugen begleiten zu können. Eine Fahrt mit ihm, Zeit zu zweit – vielleicht würde es ihr gelingen, ihn die Tänzerin vergessen zu lassen.
»Ist in der dortigen Marstallkaserne nicht eure Garnison ansässig? Dem Württembergischen Ulanenregiment gehört meine ganze Bewunderung!« Sie langte über den Tisch und nahm Eugens Hände in die ihren. »Bitte, du musst mich mit nach Ludwigsburg nehmen! Mir liegt so viel daran, euren tapferen Kameraden einen persönlichen Besuch abzustatten.« Vor lauter Erregung ging ihr die Luft aus, und ihre Stimme überschlug sich.
»Ich weiß nicht …« Hilfesuchend schaute Eugen Wily an.
»Ein Besuch bei den tapferen Kameraden …« Wily musterte sie von oben herab. »Für wie dumm hältst du uns eigentlich, Wera? Lutz von Basten willst du treffen, so sieht die Sache aus!«
»Aber … ich –«
»Ehrlich gesagt, das gefällt mir nicht. Lutz ist zwar ein guter Kamerad, aber unter deinem Rang. Eine Liaison zwischen zwei so unterschiedlichen –«
»Jetzt beruhige dich«, unterbrach Eugen ihn.
»Weras wahre Gründe für die Fahrt nach Ludwigsburg gehen uns nichts an. Wage es bloß nicht, mit solchen Reden zur Königin zu gehen. Dann bekommst du es mit mir zu tun.«
»Wahre Gründe? Aber es ist … alles ganz anders!«, rief Wera verzweifelt.
Eugenlegte seinen Arm um sie. Sein Gesicht war nur wenige Handbreit von ihrem entfernt, als er mit einem verschwörerischen Lächeln sagte: »Natürlich kannst du mit nach Ludwigsburg kommen. Um Punkt acht Uhr fährt meine Kutsche ab, also sei bitte pünktlich.«
»Versprochen«, flüsterte Wera heiser. Der Boden unter ihren Füßen begann zu schwanken. Nach Luft schnappend, wollte sie sich an der Tischkante festhalten, doch ihr Griff ging ins Leere.
Die Hitze. Kein Essen. Der Zigarettenqualm. Eugens Arm um ihren Leib. Plötzlich war alles zu viel für Wera.
Sie, die höchste Berge ohne Erholungspausen erklomm, sie, die Gewaltmärsche von mehr als zehn Kilometern leicht überstand, fiel – erschöpft und ausgelaugt von den eigenen Gefühlen – in Ohnmacht.
20. KAPITEL
D as Fest hatte bis nach Mitternacht gedauert. Fast genauso lang waren Olly
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