Die russische Herzogin
Familienstammbäume nicht, dass ich sie geschwind aus dem Ärmel schüttele. Lass mich nachdenken … Der Mann, der dir gefällt, entstammt einer schlesischen Seitenlinie des württembergischen Königshauses. Der Begründer dieser Linie war der Bruder des ersten Königs, den Württemberg je hatte: Friedrich I., der Vater von Karls Vater Wilhelm. Wenn ich es richtig weiß, ist diese seitliche Linie jedoch weder besonders mächtig noch reich. Obwohl – in Bezug auf Wohlstand kann man sich schnell täuschen, hinter manch bescheidenem Auftreten steckt ein prall gefülltes Portemonnaie.«
Wera winkte ab. »Geld! Das interessiert mich nicht.«
Olly hob missbilligend die Brauen. »So redet nur jemand daher, der noch nie Geldsorgen hatte. Aber zurück zu Herzog Eugen: Was die Krone angeht, steht er in der Rangfolge im Grunde direkt hinter Wily, auch wenn das bisher noch niemand laut ausgesprochen hat.«
»Erist von hohem Rang, wie wunderbar!« Wera klatschte in die Hände. Ihr Strahlen erhellte das Zimmer mehr, als es die Morgensonne tat, deren noch blasse Streifen durch die rosenfarbene Gardine schienen.
»Wenn ich mich nicht täusche, hat Eugens Großvater an der Seite meines Onkels, Zar Alexander I., gegen Napoleon gekämpft. Als General. Jahre später hat er meinem Vater geholfen, den Aufstand der Dekabristen niederzuschlagen.« Olly schüttelte verwundert den Kopf. »An diese Zeiten habe ich schon lange nicht mehr gedacht … Aber jetzt erinnere ich mich wieder genau – Herzog Eugen II. war meiner Familie sehr treu ergeben, mein Vater hielt große Stücke auf ihn.«
»Ein großer Soldat«, hauchte Wera. »Kein Wunder, dass sich auch mein Eugen im Krieg so tapfer geschlagen hat.«
»Dein Eugen – du müsstest dich mal reden hören!« Olly lachte. Während sie Weras Schwärmereien lauschte, erschien ihr der Gedanke an eine Verbindung zwischen Wera und dem attraktiven Herzog gar nicht mehr so abwegig. Besaß nicht auch ihre Ziehtochter eine ganz besondere Ausstrahlung? So gesehen konnte sie Eugen allemal das Wasser reichen. Ihre Wera, verliebt … Olly lächelte versonnen, dann nahm sie den Faden ihrer Erzählung erneut auf.
»Später trat auch Eugens Vater in den russischen Militärdienst ein, doch zu dieser Zeit war ich schon in Stuttgart. Haben Vater und Sohn nicht auch gemeinsam am gerade zu Ende gegangenen Krieg teilgenommen? Solche Dinge müsstest du eigentlich Eugen selbst fragen, oder Wily. Militärs wissen über ihresgleichen immer recht gut Bescheid.«
»Kein Ton zu Wily! Ich will nicht, dass er sich über meine Neigung lustig macht. Er hat sich gestern Abend unmöglich verhalten. Als ob er noch nie etwas von gutem Benehmen und Etikette gehört hätte.«
Olly schmunzelte. Das sagte ja gerade die Richtige!
»Und Eugens Mutter? Kennst du sie?« Noch während sie sprach, schlüpfte Wera zu Olly ins Bett.
»Nicht persönlich. Ich weiß nur, dass Herzogin Mathilde eine geborenePrinzessin zu Schaumburg-Lippe ist und dass sie wie ich während des Krieges ein Hilfskomitee geleitet hat. Ihr Name stand auf irgendeiner Liste.« Olly machte eine vage Handbewegung, dann rutschte sie zur Seite, um Wera mehr Platz zu machen.
»Der Großvater Soldat, der Vater Soldat, die Mutter eine brave Patriotin und Eugen selbst ein Anwärter auf den württembergischen Thron.« Triumphierend schaute Wera sie an. »Wenn das nicht der richtige Mann für mich ist … Habe ich dir nicht gesagt, dass ich mich verlieben werde? Dass es so schnell gehen würde, hätte ich allerdings selbst nicht geglaubt.«
Einen Moment lang lagen sie schweigend nebeneinander und genossen die stumme Vertrautheit. Olly hätte vor Glück weinen können. Aus dem verstockten und zutiefst unglücklichen Mädchen, das vor vielen Jahren in Stuttgart angekommen war, war eine selbstbewusste junge Frau geworden. Ihre wunderbare wilde Wera! Wie so oft dankte sie Gott dafür, ihr dieses Kind geschenkt zu haben.
»Und Eugen – ist er auch schon ein bisschen in dich verliebt?«, fragte sie gedehnt. Und hielt unwillkürlich den Atem an.
Wera seufzte tief auf.
»So einfach ist die ganze Sache leider nicht. Es gibt wohl eine Tänzerin, die ihm mächtig den Kopf verdreht hat. Du weißt ja, wie es ist: Die Damen müssen nur die fesche Uniform des Ulanenregiments sehen, und schon werfen sie sich den Herren an den Hals. Dass eine solche Tanzmamsell völlig unter seiner Würde ist, wird Eugen gewiss bald von selbst erkennen«, sagte sie voller Überzeugung.
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