Die russische Herzogin
und Karl geblieben. Als er ihr endlich das Zeichen gab, sich zu erheben, hatte Erleichterung sie durchflutet. Die laute Musik, die vielen Menschen, die unendlich scheinende Folge von Speisen – alles zusammen hatte sie erschöpft, so dass sie sich nach nichts mehr sehnte als nach der Abgeschiedenheit ihrer Gemächer. Ein letztes Glas Wein mit Karl, den Abend in Ruhe noch einmal Revue passieren lassen …
Vor dem Portal des großen Festsaals war Karl stehen geblieben. »Mir ist nicht wohl, ich muss noch ein bisschen Luft schnappen gehen, du bist mir doch nicht böse, wenn ich dich Evelyn überlasse?« Schon hatte er die Hofdame herangewinkt. Von irgendwoher war gleichsam sein Adjutant Wilhelm erschienen, noch bevor Olly etwas hätte sagen können, waren die beiden Männer davongezogen.
Obwohl es sie nach einer unruhig verbrachten Nacht eigentlich aus dem Bett drängte, verharrte Olly mit geschlossenen Augen weiter in dem Dämmerzustand zwischen Schlaf und Erwachen.
Karl und Adjutant Wilhelm – handelte es sich wirklich nur um eine Vertrautheit, wie sie auch zwischen Eve und ihr existierte? Warum fiel es ihr so schwer, das zu glauben?
Die Aussicht, einen weiteren Tag mit all diesen quälenden Fragen verbringenzu müssen, erschien Olly auf einmal unerträglich. Würde sie erneut die Kraft aufbringen, sich so taub zu stellen, dass der Schmerz der Einsamkeit sie nicht weiter auffressen konnte? Leise stöhnend rutschte sie noch tiefer unter ihre Bettdecke, als direkt neben ihr das Klirren von Metall ertönte. Zu Tode erschrocken schoss Olly hoch und sah Wera, die einen Löffel vom Boden aufhob.
»Olly, ich muss mit dir reden, jetzt sofort!« Noch während sie sprach, reichte sie Olly eine Tasse Tee.
Eine schwache Erinnerung huschte als leises Lächeln getarnt über Ollys Gesicht. Die erste Tasse Tee am Morgen im Bett – eine der wenigen Gewohnheiten, die sie sich einst von Karl abgeschaut hatte. In früheren Jahren hatte er ihr den Tee sogar höchstpersönlich gebracht. Eng aneinandergeschmiegt hatten sie sich Pläne für den neuen Tag erdacht.
»Was weißt du über Herzog Eugen? Ich muss alles über ihn erfahren!« Mit fiebrig glänzenden Augen saß Wera auf der Bettkante und starrte sie erwartungsvoll an.
»Herzog Eugen?«, fragte Olly überrascht. »Wie kommst du morgens um sechs ausgerechnet auf ihn?«
Als Wily und Herzog Eugen am gestrigen Abend an ihren Tisch getreten waren, um sie zu begrüßen, hatte Olly für einen Moment geglaubt, eine Erscheinung zu haben. Die lockigen schwarzen Haare, das Lächeln, arrogant und einnehmend zugleich – genau wie Alexander von Hessen!, war es ihr durch den Kopf geschossen. Die Liebe ihres Lebens. Zumindest hatte sie das damals geglaubt.
»Warum schaust du so seltsam? Jetzt rede schon!« Ungeduldig rüttelte Wera an ihrem Arm, doch Olly rührte weiter schweigend in ihrer Teetasse. Für einen langen Augenblick war nichts als das Klacken der Zuckerstücke gegen das Porzellan zu hören.
Im nächsten Moment riss Wera ihr die Teetasse aus der Hand und stellte sie mit einem Scheppern neben dem Bett ab. »Tante Olly, bitte!«
»Gib mir die Tasse zurück, sonst werde ich ungehalten. Warum interessiert dich der Herr eigentlich so sehr?«
»Esist passiert«, antwortete Wera mit zitternder Stimme. »Ich habe mich verliebt! Da ist es doch nur natürlich, dass ich über Herzog Eugen mehr wissen möchte, oder?«
Schlagartig war Olly hellwach. Ihr Kind und der schöne Offizier? Dieser Mann war nicht nur gutaussehend, sondern besaß eine enorme Ausstrahlung, dieses gewisse Etwas, das Menschen aufmerken ließ, sobald er einen Raum betrat. Unter all den schmucken Soldaten, die zum Salut an ihren Tisch gekommen waren, hatte Eugen herausgestochen wie ein farbenprächtiger Opal inmitten eines Haufens Kieselsteine. Sogar Katharina, Karls Schwester, hatte ihre mürrische Miene für einen Moment abgelegt, als Eugen ihre Hand küsste. Ein Mann, der die Damen verzauberte. Dies war Ollys erster Eindruck gewesen. Wie einst Alexander von Hessen. Ihm hatte damals nicht nur sie zu Füßen gelegen, sondern die ganze Damenwelt von St. Petersburg. Aber das hatte sie erst später herausgefunden. Und ausgerechnet an solch einem Herzensbrecher fand Wera Gefallen? Hätte es nicht ein redlicher Graf von durchschnittlichem Aussehen sein können?
»Willst du mich ewig schmoren lassen? Wer ist Herzog Eugen genau, wo kommt seine Familie her?«
Olly seufzte. »So einfach sind diese ganzen
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