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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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ersten Mal. Der da ist der Anführer.« Schon versetzte die Bäckerin dem Jungen, den ihr Mann noch immer am Ohr festhielt, einen Schlag.
    »Jetzt reicht’s aber!« Mit erhobener Hand wollte Wera auf die Frau losgehen, als jemand sie zur Seite zog. Wütend drehte sie sich um – und sah Eugen. Vor lauter Aufregung hatte sie ihn ganz vergessen.
    Herzog Eugen machte einen Schritt nach vorn und sagte mit hocherhobenem Kopf und tragender Stimme:
    »Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben? Ihre Königliche Hoheit Wera von Württemberg! Für die Art und Weise, wie Sie mit der Königstochter umgesprungen sind, könnte ich Sie jederzeit anzeigen.« Er warf dem Büttel einen gestrengen Blick zu, woraufhin der Mann erst kreidebleich, dann feuerrot im Gesicht wurde. Die Angelegenheit schien ihn deutlich zu überfordern.
    Krampfhaft versuchte Wera, in Eugens Miene zu lesen. Meinte er dies ernst? Oder war das seine Art, den Kindern zu helfen? Falls ja, konnte es funktionieren, denn das feiste, selbstgerechte Gesicht der Bäckersfrau zeigte zum ersten Mal einen Anflug von Unsicherheit.
    »Ich wäre vielleicht bereit, von einer Anzeige abzusehen, falls man die Kinder laufenlässt«, sagte Wera daraufhin.
    Eugen runzelte die Stirn. »Du willst die kleinen Diebe einfach laufenlassen?«
    »Woher wissen wir denn, ob sie wirklich Diebe sind?«, antwortete sie ärgerlich. »Womöglich haben die Bäckersleute das hier selbst fabriziert.« Sie deutete auf die noch auf dem Boden verbliebenen Gebäckbrösel.
    »Achso ist das heutzutage? Diebe werden von der Obrigkeit beschützt, und unsereins kann sehen, wo es bleibt?«, empörte sich der Bäcker.
    »Es tut uns leid. Ich weiß, dass Stehlen verboten ist, aber wir hatten so schrecklichen Hunger«, kam es so leise von einem der Mädchen, dass die Erwachsenen es erst gar nicht hörten.
    »Ihr hattet Hunger?« Wera ging vor den Kindern in die Hocke. Die Kleider der Kleinen waren so alt und löchrig, dass sie an manchen Nähten auseinanderklafften. Schuhe trug keins der drei Kinder, dafür hatten alle eine schorfige, schmutzige Haut. Mit einem Hauch Unwohlsein strich Wera dem Mädchen über den Kopf, das sich jedoch sofort wegduckte wie ein Hund, der Angst vor Prügel hat.
    »Bekommt ihr zu Hause nicht genug zu essen?«
    Von der Bäckersfrau kam ein erbostes Schnaufen. »Woher denn? Der Vater ist gefallen, schon im letzten Jahr. Und die Mutter … ein versoffenes Luder ist sie! Anstatt sich um ihre Brut zu kümmern, betrinkt sie sich. Aus Kummer, sagt sie, hah! Ins Arbeitshaus gehört sie, und die Kinder weggesperrt ins Heim, wo sie braven Bürgern wie uns nicht mehr schaden können.«
    Auf einmal hatte Wera das Gefühl, als würde eine Saite in ihr reißen.
    »Was sind Sie nur für eine schreckliche Frau! So wohlbeleibt, wie Sie und Ihr Herr Gemahl sind, könnten Sie sich ein bisschen Mildtätigkeit gewiss leisten. Für jedes Kind eine Scheibe Brot am Tag, und für die kummervolle Mutter noch ein Stück dazu. In der Not zu helfen, das wäre Ihre Christenpflicht gewesen und nicht ein solcher Aufstand hier.« Wera verzog den Mund, als wollte sie vor den Leuten ausspucken. Stattdessen zückte sie ihr Portemonnaie und warf der Frau eine Handvoll Münzen vor die Füße.
    »Hier, das deckt Ihren Schaden mehr als reichlich.« Mit hocherhobenem Haupt ging sie an beiden vorbei ins Backhaus. Als sie wieder herauskam, hatte sie die Hände voller Brezeln.
    »Für euch, Kinder. Und bringt eurer Mutter auch eine mit.«
    DieHochsteckfrisur hatte sich aufgelöst. Das ultramarinblaue Kleid wies dort, wo sich der Junge an sie geschmiegt hatte, einen bräunlichen Fleck auf. Ihr Seidenschal war verknittert, außerdem klebten grobe Salzkörner und Brezelbrösel an ihrer Brust und in ihrem Gesicht.
    Grimmig lehnte sich Wera auf der Sitzbank der Kutsche zurück. Denen hatten sie es gezeigt! Wäre Eugen nicht gewesen, hätte sie das Weib glatt geohrfeigt. Im nächsten Moment gefror ihr Lächeln. Du lieber Himmel, in welche Bredouille hatte sie sich gebracht! So viel zum Thema Contenance und Zurückhaltung …
    »Kannst du mir bitte verraten, was dieser Auftritt sollte?« Eugen schaute sie wie eine seltene Spezies an.
    »Wie … meinst du das?«, gab sie kleinlaut zurück.
    »Nun, ich frage mich, warum du dich so für diese Straßengören eingesetzt hast. Ich fand das Ganze sehr befremdlich.«
    »Wie bitte? Das war doch das Mindeste, was ich für die Kinder tun konnte. Die armen Würmer hatten

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