Die russische Herzogin
nicht weiß, was ich falsch gemacht habe!« Sie winkte ab, als Evelyn ihr ein spitzenumsäumtes Taschentuch reichen wollte. »Welche Fehler sind mir unterlaufen? Wo und wann habe ich aufgehört, eine gute Ehefrau zu sein? Tausendmal stelle ich mir diese Fragen und finde doch keine Antworten. Ich habe doch alles so gemacht, wie meine Mutter und Anna es mir beigebracht haben.« Mühsam, mit den Bewegungen einer alten Frau setzte Olly ihre Füße vors Bett. »Bin ich wirklich so dumm, dass ich nicht einmal meine Fehler erkenne?«
»Wer sagt denn, dass Sie überhaupt welche gemacht haben?«, entgegnete Evelyn heftig. Oh, sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie man der jungen Zarentochter in St. Petersburg Benimmregeln und Verhaltensweisen für ihr zukünftiges Leben als Ehefrau eines gekrönten Hauptes eingetrichtert hatte! Warum nur hatte ihr niemand beigebracht, dass es Männer gab, bei denen die üblichen Spielregeln nicht galten?
»Darf ich fragen, was Sie vorhaben?«, sagte Eve, als sie sah, wie Olly wahllos Kleidungsstücke aus ihrem Schrank riss und aufs Bett warf. »Sie wollen verreisen?«
Olly ging zur großen Kommode, in der sie ihre Schals und Handschuhe aufbewahrte, und riss die oberste Schublade auf.
»Ich werde Karl verlassen. Zurückgehen nach Russland, damit er endlich Ruhe vor mir und unserer schrecklichen Ehe hat. Sascha stellt mir sicher mit Freuden einen Palast zur Verfügung, vielleicht werdeich den Rest des Sommers auch erst einmal in Zarskoje Selo verbringen. Oder in Peterhof. Hauptsache, ich bin fort aus Stuttgart. Eve, bitte klingle nach der Zofe, damit sie mir beim Packen hilft!«
»Aber …« Evelyn stellte sich vor den Berg aus Kleidungsstücken, als wollte sie Olly daran hindern, diese einzupacken. Hätte Olly weiterhin geschluchzt und gehadert, wäre ihr nicht so himmelangst gewesen wie angesichts der fast tödlichen Ruhe, mit der die Königin jetzt agierte.
»Ihre Entscheidung kommt sehr plötzlich …«
Olly holte tief Luft. »Dafür gibt es nun auch keine Zweifel mehr. Viel zu lange habe ich mir Karls Gemeinheiten gefallen lassen. Habe erlaubt, dass er auf meinen Gefühlen herumtrampelt wie auf einem zu Boden gefallenen Stück Papier. Mein Stolz hat es mir verboten, zuzugeben, wie sehr er mich damit verletzt hat. Dabei hätte mich mein Stolz viel eher daran erinnern müssen, dass ich eine Romanow bin! Nie hätte mein Vater es zugelassen, dass Karl oder irgendein anderer Mann so mit mir umspringt. Und wenn Sascha wüsste, wie es um Karl und mich bestellt ist, würde er sicher sofort irgendwelche … Maßnahmen in die Wege leiten.« Die Handbewegung, mit der Olly ihre Worte unterstrich, war äußerst vage – die Königin schien sich nicht richtig vorstellen zu können, wie diese »Maßnahmen« seitens des Zaren aussehen würden.
Evelyn biss sich auf die Unterlippe. Nichts, aber auch gar nichts würde der Zar unternehmen. In St. Petersburg wusste man schließlich nicht erst seit gestern über Karl Bescheid. Sascha, Konstantin, ja wahrscheinlich sogar die Zarenmutter – sie alle waren bei weitem nicht so ahnungslos, wie Olly glaubte. Vielmehr hatte Evelyn den Eindruck, dass Ollys Akzeptanz ihrer unglücklichen Ehe der russischen Herrscherfamilie ganz gut zupasskam. Sollte Olly tatsächlich ihre machtvolle Position als Königin von Württemberg aufgeben wollen, würde das dem Zaren gewiss nicht gefallen. Aber das waren Dinge, die Evelyn ihrer Herrin nicht sagen konnte. Krampfhaft suchte sie daher nach einem anderen Weg, die Königin von ihrem unüberlegten Handeln abzuhalten.
Ollylachte schrill auf. »Soll sich Karl doch mit seinem Adjutanten vergnügen! Oder mit irgendwelchen anderen Herren. Es ist mir gleich. Im Grunde ist es mir schon lange gleich, was mein lieber Mann treibt. Nur habe ich dies mir gegenüber nie zugegeben. Ich habe mich selbst belogen!« Einen Moment lang hielt sie inne in ihrem Redefluss, sie schien mit sich zu kämpfen, dann fuhr sie fort: »Vielleicht war es ein Fehler, dass ich den Kopf so lange in den Sand gesteckt habe. Vielleicht war es aber auch die einzige Möglichkeit, Karls Gefühlskälte zu überleben. Aber damit ist nun Schluss.«
*
Das vor kurzem aus dem Krieg heimgekehrte Ulanenregiment hatte sein Quartier in Ludwigsburg noch nicht vollständig bezogen, von einem geregelten Kasernenalltag konnte keine Rede sein. Vielmehr herrschte rund um die Garnison hektisches Treiben. Als Wera am Haupttor der Marstallkaserne nach Offizier von Basten
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