Die russische Herzogin
Schultern. »Ich habe läuten hören, dass ich Rittmeister werden soll.«
»Dasentspricht dem Dienstgrad eines Hauptmannes, nicht wahr?«, sagte Wera. Wie gut, dass sie sich während des Krieges so eingehend mit Offiziersgraden beschäftigt hatte.
Eugen nickte desinteressiert.
»Eigentlich habe ich von der Kavallerie derzeit die Nase gestrichen voll. Wenn es Etty nicht gäbe, würde ich mich vom Militärdienst beurlauben lassen und eine lange Reise unternehmen. In den Orient zum Beispiel.«
»In den Orient, aha«, sagte Wera, der zu diesem Thema partout keine Frage einfallen wollte. Eugen wollte fort? Das war ja schrecklich!
Eine Zeitlang fuhren sie schweigend dahin. Eugen begann, mehr oder weniger auffällig ein Bündel Geldscheine zu zählen.
Wera schaute ihm stirnrunzelnd zu. Überlegte er, wie viel Geld er für die Tanzmamsell ausgeben wollte? Der Gedanke, dass er in Ludwigsburg ein Schmuckstück für »Etty« kaufen wollte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Eine Möglichkeit, ihn davon abzuhalten, wollte ihr jedoch auch nicht einfallen. Überhaupt: Irgendwie war das Verliebtsein heute viel anstrengender als auf dem Ball. Oder stellte sie sich einfach nur ungeschickt an?
Sie hatten gerade die ersten Häuser des Dorfes Beihingen passiert, als Wera aus dem Augenwinkel heraus vor einem Backhaus eine tumultartige Szene ausmachte: Ein Mann mit wutverzerrtem Gesicht rannte schreiend hinter einem Jungen her, während eine Frau auf ein kleines Mädchen einschlug. Die Schreie des Kindes waren bis in die Kutsche zu hören. Ein weiteres Kind zerrte gellend am Arm der Frau. Auf dem Boden lagen Teile von Gebäck, um die sich zwei Straßenköter stritten. Bei immer mehr Häusern wurden die Fenster aufgerissen, Leute lehnten sich neugierig heraus, um dem Spektakel zu folgen.
Wera spürte, wie sich ihre Wangenmuskeln schmerzhaft anspannten. Statt zu helfen, glotzten die Leute blöd. Genau wie letzte Woche, als sich eines der Stallkätzchen aufs Stalldach verirrt und nicht mehr den Rückweg gewagt hatte. Anstatt das Tier zu retten, hatten zwei Stallburschen ihren Spaß daran gehabt, es mit Steinen zu bewerfen,und die Übrigen hatten belustigt zugeschaut. Panisch war die Katze auf dem Dach hin und her gerannt, wahrscheinlich hätte sie sich in den Tod gestürzt, wäre Wera nicht dazugekommen. Sie hatte sich die erstbeste Leiter geschnappt und war mit zitternden Knien aufs Dach geklettert. Als Dank für ihre Heldentat hatte die Katze ihr über den rechten Handrücken gekratzt. Und Cäsar von Beroldingen, der Oberstallmeister, verpasste ihr auch noch einen Rüffel, weil sie sich in Gefahr gebracht hatte.
Und wenn schon!, dachte sie nun. Sie klopfte so heftig mit ihrem Fächer an das Fenster zwischen Abteil und Kutschbock, dass ein Stück vom schwarzen Lack abblätterte. Und wenn schon.
»Anhalten, sofort!«
Die vier Räder waren noch nicht zum Stillstand gekommen, als sie den Verschlag aufstieß und hinaussprang. Mit in die Seite gestemmten Armen herrschte sie die fettleibige Frau in ihrer weißen Kittelschürze an:
»Aufhören, sofort! Sie tun dem Mädchen weh. Was geht hier eigentlich vor?«
»Ich soll die kleine Diebin laufen lassen? Nichts da! Bis mein Sohn mit dem Dorfbüttel kommt, halte ich die Göre fest«, antwortete die Frau, deren Gesicht mehlverschmiert und aufgedunsen war. Sie warf Wera einen abfälligen Blick zu, als wollte sie sagen: »Euresgleichen kenne ich. Und ich weiß, was ich von euch zu halten habe!« Um ihre Worte zu bekräftigen, krallte sich ihre fleischige Hand noch fester um den Arm des Mädchens, das vor Schmerz wimmerte.
Unbändige Wut erfasste Wera. Diese Grobheit!
»Ganz gleich, was das Kind angestellt hat – niemand hat das Recht, einen kleinen Menschen so zu quälen!«
Im nächsten Moment kam der Mann, den sie schon vom Wagen aus gesehen hatte, mit dem Jungen um die Ecke. Auch über seinem fetten Wanst spannte sich eine Bäckerschürze. Den Jungen hatte er grob am Ohr gepackt.
»Lassen Sie den Kleinen los, Sie Unhold!«, kreischte Wera. Im selben Moment erschien der Sohn der beiden mit dem Büttel.
Unsicherschaute der Ordnungshüter zwischen dem Bäckerpaar und Wera hin und her.
»Ich verstehe nicht … Euer Sohn meinte, jemand hätte euch in der Backstube bestohlen. Gab es gleichzeitig auch einen Überfall auf die Kutsche?«
»Von wegen! Die Dame mischt sich nur unnötig in unsere Angelegenheiten ein. Fünf unserer Brezeln haben sich die Biester geschnappt, und das nicht zum
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