Die russische Herzogin
Weg ins Theater«, sagte Eugen.
Wohin sonst?, dachte Wily. Während er mit seinem Onkel Karl und dessen Adjutant zu einer Partie Schafkopf verabredet war, erhoffte sich Eugen amouröse Abenteuer!
»Von mir aus kann Wera jederzeit wieder mitfahren. Die Fahrt war keine Minute langweilig. Nicht, dass ich Geschwätzigkeit bei einem Weibsbild besonders schätzen würde, aber Wera ist wirklich unterhaltsam. Stell dir vor …« Grinsend schilderte Eugen den Vorfall in Beihingen.
»Dasist wieder einmal typisch«, sagte Wily. »Mit ihr hat man nichts als Ärger, schon in Kinderjahren hat sie mich mit ihren Ideen in Teufels Küche gebracht.« Gleichzeitig spürte er eine Art Neid in sich aufsteigen. Besser, von Wera in Teufels Küche gebracht zu werden, als vor Langeweile zu sterben. Ein Schicksal, von dem er manchmal glaubte, dass es ihm unmittelbar bevorstand.
»Ich fand sie ziemlich amüsant. Und Mut hat sie auch, du hättest mal sehen sollen, wie sie sich vor dem Bäcker aufgebaut hat.« Eugen lächelte.
»Wenn man dich reden hört, könnte man fast den Eindruck bekommen, Wera hätte es dir angetan«, sagte Wily mürrisch. »Dann schenk doch gleich ihr dein Collier!« Er zeigte auf das großformatige Lederetui in Eugens rechter Hand.
»Bist du verrückt? Ein halbes Vermögen hat es mich gekostet, der Ludwigsburger Goldschmied ist nämlich noch teurer als sein Stuttgarter Kollege.« Er schüttelte halb betrübt, halb verärgert den Kopf. »Und weißt du was? Dass ich mich in derartige Unkosten stürze, scheint Etty gar nicht zu beeindrucken! Jedenfalls ist sie nach wie vor sehr zugeknöpft. Deshalb habe ich mir gedacht … also … könntest du es einrichten, dass man Schloss Solitude für mich öffnet, ohne dass jemand davon erfährt? Etty fände es sicherlich grandios, einmal in einem Schloss königlich zu speisen. So etwas kann ihr schließlich nicht jeder bieten. Und wer weiß? Vielleicht stimmt die Atmosphäre eines Lustschlosses auch sie lustvoll …«
*
Obwohl sie todmüde von den Aufregungen des Tages war, konnte Wera an diesem Abend lange nicht einschlafen. Unruhig warf sie sich immer wieder in ihrem Bett hin und her.
St. Petersburg. Und das, wo sie doch so verliebt in Eugen war. Obwohl sie erst wenige Stunden von ihm getrennt war, hatte sie schon wieder schreckliche Sehnsucht nach ihm. Wann würde sie ihn wohl wiedersehen? Wenn Olly ihre Pläne wahr machte, gar nicht! Was würde dann aus ihrer großen Liebe werden?
Einerseitswar sie wütend auf Olly, andererseits tat ihr die Königin schrecklich leid: Weinte sie jetzt in ihr Kopfkissen? War sie vor lauter Erschöpfung eingeschlafen? Oder schmiedete sie ihre Umzugspläne weiter?
Bevor sie gegangen waren, hatten Evelyn und sie das größte Chaos in Ollys Zimmer beseitigt. Die Kleider der Königin hingen wieder einigermaßen ordentlich, wenn auch verknittert im Schrank, die Hüte waren im dafür vorgesehenen Regal untergebracht und die Handschuhe sicher in der Kommode verstaut. Wenn nur das Durcheinander in eines Menschen Herz auch so leicht zu beseitigen wäre, hatte Wera gedacht. Schließlich sprang sie auf, nahm die Kerze von ihrem Nachttisch und ging damit zum Sekretär. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, wollte sie die Zeit mit etwas Sinnvollem verbringen.
Kaum hatte sie eine weiße Seite ihres Tagebuchs aufgeschlagen, kaum hatte sie die Feder ins Tintenfass getunkt, spürte sie, wie die innere Unruhe von ihr abfiel. Die Feder machte kreisende Bewegungen in der Luft, als wolle sie Schmetterlinge mit einem Kescher einfangen. Worte, die in den Tiefen von Weras Herz und in ihrer Seele darauf warteten, von ihr befreit zu werden. Wera liebte dieses Ritual des Worte-Erspürens. War das Schreiben von Gedichten in früheren Zeiten lediglich bloßer Zeitvertreib gewesen, eine Tätigkeit, die von anderen wohlwollend betrachtet wurde, weil sie sich dabei endlich einmal still verhielt, so bedeutete es heute viel mehr für sie. Das Spiel mit Worten half ihr nicht nur, ihre Gedanken zu ordnen, sondern auch ihre vielen, teilweise widersprüchlichen Gefühle.
Heute kämpften wieder zwei Seelen in ihrer Brust: Sollte sie Ollys Leid verarbeiten oder sich ihren eigenen, glücklichen Gefühlen hingeben? Tief Luft holend, setzte sie die weiche Feder auf das weiße Papier und schrieb:
Vor dem Geliebten
Mein Reim kann’s wieder geben,
Was tief mein Herz empfand,
Als ich zum erstenmale
Vor dem Geliebten stand.
Wiebebten meine Pulse,
Wie pochte mir das
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