Die russische Herzogin
sei ihrem Vorschlag einer Verheiratung zwischen ihrem Sohn und Wera geschuldet, frohlockte jedes Mal. Dass sich Wily in der Zwischenzeit auch verliebt hatte – allerdings nicht in Wera, sondern in eine nicht standesgemäße Dame, es wurde etwas von einer Professorentochter gemunkelt –, wusste sie nicht.
Olly hingegen hatte sich bei ihrem Vertrauten, Cäsar Graf von Beroldingen, nach Herzog Eugen erkundigt und herausgefunden, dass dessen Tändelei mit der Tänzerin anhielt.
»Es sieht leider ganz danach aus, dass Eugen anderweitig engagiert ist … Von daher solltest du dich nicht weiter in diese Schwärmerei hineinsteigern«, versuchte sie ihre Ziehtochter folglich zu bremsen.
Wera war so überglücklich darüber, dass Ollys St.-Petersburg-Pläne gestorben waren, dass sie zu fast allem ja und amen sagte, was Olly in diesen Tagen von sich gab. Also nickte sie auch in diesem Fall zustimmend und sagte:
»Vielleicht hast du recht. Am besten, du lädst Eugen, so oft es geht, ein, dann kann ich ihn in aller Ruhe kennenlernen. Und du bist jedes Mal in meiner Nähe, falls ich doch über die Stränge schlagen sollte.«
Eine Tänzerin, pah! Als ob sie sich deswegen Gedanken machen würde, dachte sie derweil. So etwas ging vorüber, das wusste doch jedes Kind. Es brauchte einfach noch ein bisschen Zeit, bis Eugen ihre Vorzüge erkannte. Aber Vorsicht würde sie deswegen nicht walten lassen, ganz im Gegenteil …
Sowohl Karl als auch Olly hielten sich an die getroffene Abmachung, dem anderen mit Respekt und Achtung zu begegnen, öffentlicheTermine weiter gemeinsam wahrzunehmen und sich ansonsten in Ruhe zu lassen. Zu beider Erstaunen funktionierte diese Regel gut. Harmonie herrschte zwischen ihnen, und sie verstanden sich besser als in vielen Jahren davor. Wenn sie sich im Schloss auf einem der Gänge über den Weg liefen, sprachen sie ein paar Worte miteinander. Manchmal setzten sie diese Unterredung sogar bei einem Glas Sherry fort. Abends lag Olly nun nicht mehr wach und grübelte verbissen darüber nach, mit wem Karl unterwegs war und ob er sie dabei betrog. Stattdessen ging sie mit Evelyn oder einer anderen Hofdame aus ihrem Gefolge in die Oper, ins Theater oder verbrachte vergnügliche Stunden mit einem Buch. Der innere Frieden ihres Herzens strahlte auf ihren Geist aus, sie konnte sich besser und länger konzentrieren und nutzte dies für ausgiebige Korrespondenzen. Auch ihre auf Eis liegenden Pläne für eine reine Mädchenschule nahm sie wieder auf.
Der Krieg war vorüber, in der Tat.
Schon Monate vor ihrer »Aussprache« hatte Karl vorgeschlagen, die anstehende Silberhochzeit am 13 . Juli 1871 in Friedrichshafen zu begehen und außer den üblichen Stuttgarter Hofkreisen auch die Zarenfamilie einzuladen. Ursprünglich hatte Olly vor dem großen Fest gegraut. Davor, die Fassade einer »glücklichen Ehefrau« aufrechterhalten zu müssen. Davor, gute Miene zu Karls schlechter Laune machen zu müssen. So zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Inzwischen war alles in bester Ordnung. Und sie freute sich auf das große Fest, das ihr nicht nur das Wiedersehen mit ihrer Familie bescheren würde, sondern auch eines mit Iwan Bariatinski, dem sie einen langen Brief geschrieben und darin eine persönliche Einladung ausgesprochen hatte. Der ehemalige russische Statthalter im Kaukasus, der nach einer schweren Krankheit nun in Moskau mit der Bildung einer Kommission zur Reorganisation der russischen Armee beschäftigt war, hatte sofort zugesagt. Am Hochzeitstag selbst würde er zwar noch nicht anwesend sein können, doch am nächsten Tag könne Olly mit seinem Kommen rechnen.
Dasssie ausgerechnet anlässlich ihrer Silberhochzeit ihren alten Liebhaber wiedersehen würde, empfand Olly als wunderbar ironische Fügung, sie konnte es kaum erwarten.
Ihre Freude wurde einzig durch die Tatsache getrübt, dass ihr Bruder Sascha seine langjährige Geliebte, die Gräfin Katharina Dolguruki, mitbrachte. Es war ausgerechnet die Zarin selbst, die Olly mit rotgeweinten Augen darum bat, die Contenance zu bewahren und sie nicht durch zur Schau gestelltes Mitleid weiter zu brüskieren.
Lachen, um nicht zu weinen – galt das inzwischen für alle Romanow-Frauen?, fragte sich Olly wütend, als sie in der festlich geschmückten Kutsche neben Karl saß und den üblichen Festumzug durch Friedrichshafen absolvierte. Und wieder einmal war sie froh, sich innerlich von Karl und der Illusion einer »perfekten Ehe« verabschiedet zu haben.
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