Die russische Herzogin
Herz …
In dieser süßen Stunde
Vergaß ich Leid und Schmerz!
Ich sah nur seine Augen –
Ich sah nur seinen Mund,
Der seine treue Liebe
Mir lispelnd machte kund!
Gedankenverloren kaute Wera auf dem Ende ihres Federkiels. Bisher hatte Eugen ihr gegenüber noch nicht die geringste Andeutung von Liebe gemacht. Wenn bloß diese Etty nicht wäre, dachte Wera nicht zum ersten Mal. Nicht genug, dass Olly ihr das Leben schwermachte, sie hatte außerdem mit einer Konkurrentin zu kämpfen!
Mit einer festen Drehung verschloss Wera das Tintenfass wieder. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster in die mattschwarze Nacht, die erfüllt wurde von den Geräuschen des Sommers.
Die nächste Zeit würde die wichtigste in ihrem Leben werden, so viel stand fest. Weitreichende Entscheidungen standen an. Am allerwichtigsten war, dass Olly sich für Stuttgart entschied. Selbst dann würde sie, Wera, zu kämpfen haben, um alles unter einen Hut zu bringen: die Widersacherin ausschalten, Eugens Herz gewinnen und die zerstrittenen Eltern davon überzeugen, dass er der richtige Schwiegersohn war. Aber mit Gottvertrauen und Margittas modischem Beistand würde ihr am Ende schon alles gelingen.
23. KAPITEL
O bwohl Olly die halbe Nacht kein Auge zugetan hatte, fühlte sie sich am nächsten Morgen so gut wie schon lange nicht mehr. Nun, da sie sich das Scheitern ihrer Ehe endlich eingestanden hatte, war sie von einer Riesenlast befreit, selbst das Atmen fiel ihr leichter. Sich selbst zu belügen war wahrscheinlich die größte Lüge von allen, dachte sie bei sich, während sie vor ihrem Kleiderschrank stand. Schlimmer noch, als andere zu belügen. Sie wählte eines ihrer schönsten Kleider, steckte sich die Haare mit goldenen Kämmen hoch und schlang sich zur Feier des Tages mehrere Stränge ihrer geliebten Perlenketten um den Hals. »Vom Scheitel bis zur Zehenspitze eine Zarentochter«, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich im Spiegel betrachtete. Und sie war zufrieden damit.
Ohne das geringste Zögern in ihrer Haltung suchte sie anschließend Karl in seinem Amtszimmer auf. Als sie die Türklinke in der Hand hatte, musste sie kurz gegen ein Déjà-vu ankämpfen – genau so hatte sie gestern hier gestanden. Gestern, als sie noch dachte, ihre Welt wäre in Ordnung.
»Raus!«, sagte sie zu Wilhelm von Spitzemberg, der wie üblich neben Karl saß und ihm eine Aktenmappe hinhielt. Sie beachtete seine indignierte Miene nicht, sondern unterstrich ihre Forderung noch mit einem resoluten Nicken in Richtung Tür.
»Hiermit erkläre ich unsere Ehe für gescheitert«, sagte sie zu Karl,kaum dass sie allein waren. »Ich gebe zu, was uns zwei angeht, war ich äußerst schwer von Begriff, aber spätestens nach deinen Worten gestern ist mir klargeworden, wie wenig dir noch an mir liegt. Meine Gefühle für dich haben sich jedoch auch sehr abgekühlt.« Voller Genugtuung betrachtete sie Karls verdutzte Miene. Offensichtlich hatte ihr lieber Mann Mühe, ihr zu folgen. Sie schnaubte leise. Was hatte er erwartet? Dass sie seine gestrigen Gemeinheiten schluckte so wie alles Bisherige? Wahrscheinlich hielt er sie für eine dumme, demütige Gans.
Ihren hochmütigsten Blick aufsetzend, fuhr sie fort: »Falls du jedoch darauf spekulierst, dass ich mich von dir trenne, dann hast du dich getäuscht. Dieser Weg mag für deine Schwester Sophie der richtige gewesen sein, aber ich lege keinen Wert auf einen europaweiten Skandal. Vielmehr werde ich fortan ausgedehnte Reisen machen, und dabei möchte ich an allen Höfen mit äußerstem Wohlwollen begrüßt werden. Zu den Zeiten, in denen ich Stuttgart mit meiner Anwesenheit beglücke, erwarte ich, dass du mir in jeder Minute mit dem äußersten Respekt begegnest. Ich bin die Königin von Württemberg, daran kommst selbst du nicht vorbei. Wenn du mich schon nicht als Ehefrau achtest, dann wenigstens als Trägerin der Königskrone.«
»Sag mal, wie sprichst du denn mit mir?« Karl schaute sie entgeistert an. »Dein Ton … so kenne ich dich gar nicht. Vielleicht waren meine gestrigen Worte ein wenig harsch, ehrlich gesagt ist mir das meiste davon schon entfallen. So viel ist geschehen seit gestern früh! Stell dir vor, Katharina war bei mir und –«
Mit einer herrischen Geste brachte Olly ihn zum Schweigen. So kannte er sie nicht? Dann war es höchste Zeit, dass er sie kennenlernte.
»Deine bösartige alte Schwester interessiert mich nicht, und was du mir zu sagen hast, erst recht nicht. Ich wünsche, dass du
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