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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Schwestern umarmten sich in ungewohnter Innigkeit.
    Angesichts der zerrütteten Ehe ihrer Eltern fand Wera es umso erfreulicher, wie eng die Bande zwischen ihr und ihren Geschwistern waren: Mit Olgata hatte sie sich mehr zu sagen als in ihrer Kindheit. Der siebzehnjährige Dimitri und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Wiatscheslaw hörten gebannt ihren Schilderungen über das Württembergische Ulanenregiment zu. Sie selbst konnte nicht genug bekommen von den Erzählungen ihres Bruders Konstantin, der im Vorjahr am Russisch-Türkischen Krieg teilgenommen und dafür sogar eine Auszeichnung erhalten hatte. In all ihren Adern floss wahrlich das »Soldatenblut« ihres Großvaters Nikolaus, stellten sie fest und fühlten sich umso enger verbunden.
    Dass Weras älterer Bruder Nikolai nicht anwesend war, empfand niemand als großen Verlust. Von frühester Kindheit an war er derjenige gewesen, dessen Ideen, Spiele und Ansichten den Geschwistern den meisten Ärger einbrachten. Am Ende hatte er sich jedoch selbst den größten Ärger eingehandelt, indem er seine eigene Mutter hatte bestehlen wollen. Seine Verbannung vor sieben Jahren nach Taschkent, wo er keinen Schritt ohne Bewacher tun konnte, war für die Familie zwar einerseits ein peinlicher Sachverhalt. Gleichzeitig wurde Nikolais Verschwinden mit großer Erleichterung aufgenommen – endlich hatten sie ihren Frieden vor dem Unruhestifter.
    So erfüllend die Gespräche auch waren, so sehr machte Wera das ewige Sitzen in den überheizten und mit Möbeln überfüllten Räumen des Palastes zu schaffen. Eine längst vergessene Unruhe überfiel sie, sie begann mit den Füßen unter dem Tisch zu wippen, wurde fahrig und nervös. Draußen schien eine herrliche Herbstsonnevom Himmel, und Wera hatte große Lust auf ausgedehnte Spaziergänge durch die Stadt und ihre Parkanlagen. Sie brauchte dringend Bewegung!
    »Werden bei euch eigentlich keine militärischen Paraden abgehalten?«, fragt sie eines Tages ihre Brüder. »So etwas würde mich sehr interessieren.«
    »Unsere Truppen sind alle zum Herbstmanöver auf dem Land«, bekam sie zur Antwort.
    »Dann besuchen wir sie dort, aber nicht in einer Kutsche, sondern hoch zu Ross!« Voller Elan sprang Wera auf. »Ich kann es kaum erwarten, mir eure Pferde anzuschauen. Wer weiß, vielleicht nehme ich sogar eins mit nach Hause?«
    »Das ist keine gute Idee«, sagte Dimitri gedehnt, ohne dies weiter auszuführen.
    »Wieso, taugen eure Schlachtrösser etwa nichts?«
    »Doch, des Zaren Zucht ist weltweit berühmt, aber …« Dimitri schüttelte unglücklich den Kopf. »Die Stallungen liegen am Rande der Stadt. Und bis zum Herbstmanöver müssten wir fünf Stunden reiten. Durch offenes Gelände.«
    »Das ist doch herrlich! Worauf warten wir noch?«
    Doch Dimitri blieb sitzen und schlug demonstrativ eine Zeitung auf. »Für eine Frau ist das viel zu anstrengend.«
    Wera schaute ihren Bruder entgeistert an. »Woher willst du das wissen? Ich als Offiziersgattin bin eine ausdauernde Reiterin und auch sonst einiges gewohnt.«
    »Dimitri hat recht«, mischte sich nun auch Olgata ein, die gerade ins Zimmer gekommen war. »Eine solche Nähe zum Militär ziemt sich einfach nicht für eine Dame. Schau, ich habe ein neues Stickkissen begonnen, wollen wir gemeinsam dafür die Farben aussuchen?«
    Wera streifte ihre Schwester nur mit einem Seitenblick. Dann starrte sie verächtlich auf Dimitri nieder. »Und ihr wollt wahre Soldaten sein? Stubenhocker seid ihr!« Mit gerafften Röcken stolzierte Wera aus dem Zimmer. Auf der großen Treppe traf sie auf Evelyn und Clothilde, die zu einer neuerlichen Stadtrundfahrt aufbrechen wollten, begleitet von zwei Lakaien.
    »Ichkomme mit«, sagte Wera und rannte in ihr Zimmer, um Schal und Hut zu holen. Hauptsache, raus!
    Als sie zur Treppe zurückkam, war nur Cerise zu sehen.
    »Wo …?« Fragend schaute sich Wera um.
    »Eine Stadtrundfahrt, wie langweilig. Hier hat sich nicht viel verändert, seit du fort bist. Von daher habe ich eure Hofdamen allein losgeschickt. Warum spazierst du nicht durch die Eremitage? Wir haben in den letzten Jahren viele Neuerwerbungen machen können, dort gibt es wirklich viel Neues«, schlug die Zarin vor.
    Es kostete Wera große Mühe, sich auf die Zunge zu beißen. Zarin hin oder her – wie konnte sie es wagen, derart über sie zu verfügen? Aus lauter Wut ging Wera in ihr Zimmer und blieb den ganzen Nachmittag dort.
    »So viel Schönheit vereint an einem Ort!«, rief Wera

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