Die russische Herzogin
gehen. Aber für uns Romanows haben sich die Zeiten geändert. Immer mehr Menschen rütteln an den Grundfesten unserer Herrschaft. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag Iwan, der wird dir bestätigen, dass sich die Zeiten sehr zum Schlechten geändert haben.« Der Zar schaute seinen alten Freund an. Dieser erwiderte den Blick mit einem Nicken. Sascha lächelte, doch sogleich wurde seine Miene wieder hart.
» Nieder mit dem Zaren! – selbst durch die geschlossenen Fenster dringen ihre Rufe manchmal zu mir«, sagte er bitter. »Immer wieder gibt es Scharmützel zwischen meinen Männern und irgendwelchen Aufrührern, hie und da geht auch einmal eine Bombe in die Luft. Erst gestern –« Der Zar winkte genervt ab. »Lassen wir das Thema, ich will euch nicht unnötig beunruhigen.«
»Aber …« Olly runzelte die Stirn. »Die vielen Reformen, die du durchgeführthast! Die Menschen müssten dir unendlich dankbar sein für alles, was du für Russland leistest.«
»So naiv kannst doch nicht einmal du sein, Schwesterherz«, antwortete Sascha mit einem bitteren Lachen. » Gib einem Menschen den kleinen Finger und er will die ganze Hand – kennt man dieses Sprichwort bei euch in Württemberg etwa nicht? Die Reformen im Bereich der Justiz und Selbstverwaltung sind den Leuten nicht genug, jetzt schreien sie nach mehr Demokratie und Selbstbestimmung. Sie wollen ein Parlament, das muss man sich einmal vorstellen!«
»Und was ist daran verkehrt?«, sagte Wera. »Bei uns in Württemberg regiert das Parlament auch in allen wichtigen Fragen mit. Karl hat seine Minister sorgfältig ausgesucht, er sagt immer, dass er ohne deren Expertise verloren wäre. Zu Tumult und Chaos ist es deswegen noch nicht gekommen, nicht wahr, Olly? Und Bomben gehen bei uns in Stuttgart auch nicht hoch.«
»Du kannst Württemberg nicht mit Russland vergleichen«, murmelte Olly. Gleich darauf wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu.
»Gibt es akute Attentatsdrohungen? Verschweigt ihr uns etwas? Kosty, ist das etwa der Grund, dass ihr hierher in den Winterpalast gezogen seid?«, fügte sie an ihren Bruder gerichtet hinzu.
Weras Vater zuckte vage mit den Schultern. »Vorsicht ist besser als Nachsicht. Der Winterpalast lässt sich jedenfalls nicht so schnell einnehmen wie unser Domizil am Ufer der Fontanka.«
Unwillkürlich griff sich Wera an den Hals. Die Zeit, in der auch in Stuttgart eine solche Bedrohung bestand, hatte sie nicht vergessen. Auf einmal empfand sie den Salon nicht mehr als gemütlich und heimelig, sondern bedrückend. Ein goldener Käfig, in dem sie allesamt gefangen waren. Allerdings gab es keinen Eugen mehr, der sie mit seinem Leben beschützte.
Sascha schnaubte. »Wenn es nach Kosty ginge, dürfte ich keinen Schritt mehr vor die Tür setzen. Stattdessen müsste ich all die Reformer und Aufrührer zu Tee und Plätzchen einladen, um mit ihnen über ihre ›Ideen‹ zu diskutieren.« Er schaute Olly an. »Unser lieber Bruder ist nämlich der Ansicht, mein Regierungsstil sei nicht liberal genug. Liberal, wenn ich das schon höre! Soll ich mir etwa vonder volkssozialistischen Bewegung vorschreiben lassen, wie ich mein Land zu regieren habe?« Er schnaubte. »Ich gebe es zu: Eine Zeitlang habe ich auch gedacht, mit Gesprächen und guten Argumenten der Unruhen Herr werden zu können, aber inzwischen glaube ich, dass die sogenannte junge Intelligenz auch nur eine Sprache kennt: die der Polizeiknüppel.«
»Aber –«, hob Wera an, wurde jedoch durch eine leichte Handbewegung Ollys von einer Bemerkung abgehalten. Resigniert und ärgerlich zugleich biss sie sich auf die Unterlippe, dabei hätte sie zu gern noch ein wenig mit ihrem Onkel diskutiert.
Sascha lächelte wohlwollend. »Hier im Palast seid ihr sicher. Und wenn wir nächste Woche nach Zarskoje Selo fahren, auch. In der Zwischenzeit werde ich einen Teil meiner Leibgarde zu eurem Schutz abstellen. Auf diese Männer ist Verlass, sie werden jeden eurer Schritte bewachen.«
Die Wochen zogen ins Land, auf den warmen Herbst folgte ein heftiger Wintereinbruch mit viel Schnee. Der kalte Ostwind, der die Flocken über die Straßen wehte, so dass diese kaum mehr sichtbar waren, tat Olly nicht gut. Ihr schmerzten die Knochen und es gab Tage, an denen sie bis mittags im Bett blieb. Hoffentlich würde die Rückreise nicht zu beschwerlich für sie werden, sorgten sich Wera und die mitgereisten Hofdamen. Die meisten Gäste, darunter auch Iwan Bariatinski, waren längst in wärmere Gefilde
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