Die russische Herzogin
Abenden am Kamin, gefolgt von ausgedehnten Morgenmahlen im Kreis der ganzen Familie, stand nun nichts mehr im Weg.
Neben fröhlichen Feiern in großer Runde fanden sich die Familienmitglieder auch immer wieder in verschiedenen Konstellationen zusammen. Olly zog sich stundenlang mit Sascha zurück, um über alte – und neue – Zeiten zu reden. Oftmals war Iwan Bariatinski mit von der Partie. Auch mit Cerise, ihrer Schwägerin, war sie viel zusammen. Dass ihr Bruder in dieser Zeit seine Geliebte aufsuchte, erfüllte Olly mit Wut und Trauer zugleich. Cerise hingegen tat so, als stehe sie über den Dingen.
»Wage es nicht«, sagte sie zu Olly, als diese anbot, den Bruder anzuflehen, endlich die unselige Liebschaft zu beenden. »Er liebt sie. Und gegen die Liebe ist auch der Zar von Russland machtlos. Übrigens … Fürst Iwan Bariatinski hat dich vorhin im Blauen Salon gesucht. Ihr seid verabredet?«
Olly nickte vage, ging aber nicht weiter auf das Thema ein, obwohl ihr bewusst war, dass die Schwägerin längst ahnte, wie viel mehr Olly und Iwan verband als eine langjährige Freundschaft. Doch ihre Liebe zu Iwan war das Einzige auf der Welt, das sie nicht teilen wollte.
»Dass wir uns hier wiedersehen würden, damit habe ich nicht mehr gerechnet. Erinnerst du dich? Hier in diesem Ballsaal haben wir zusammen getanzt. Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor!« Olly ließ Iwans Hand los und tanzte leichtfüßig in einer langsamen Pirouette über das Parkett des großen Ballsaals. Dank ihrer Überredungskunst hatte sie von einem der Hofmarschalls einen Schlüssel dafür bekommen. Da kein Ball geplant war, verirrte sich von den Bediensteten niemand hierher, und auch die Familie hatte keinen Grund, den Ballsaal zu betreten. Somit waren Olly und Iwan inmitten der goldenen Pracht aus Lüstern, Spiegeln und geschliffenen Fenstern für sich allein.
»Wenn ich dich anschaue, meine Liebe, habe ich viel eher das Gefühl, es wäre gestern gewesen. Du bist noch immer wunderschön …«Iwan schloss zu ihr auf, gemeinsam drehten sie sich im Takt zu einer Weise, die nur sie hören konnten.
Wie sehr ich diesen Mann liebe!, schoss es Olly mit schmerzhafter Heftigkeit durch den Sinn. So viele Jahre schon, und mit jedem Jahr wurde ihre Vertrautheit noch stärker und intensiver.
Mitten auf der Tanzfläche blieb Iwan plötzlich stehen. Abrupt schlang er seine Arme um Olly und flüsterte rau in ihr Haar: »Ach Olly, so viele Jahre haben wir vergeudet! Was hätte aus uns werden können, wenn wir –«
»Pssst!« Olly unterbrach ihren Geliebten, indem sie ihm zärtlich den rechten Zeigefinger auf die Lippen legte. »Sprich nicht weiter. Niemandem ist mit solchen Reden geholfen«, sagte sie voller Inbrunst. »Wir sind beide unseren Pflichten nachgegangen, so wie man es von uns erwartete. Keinen Moment davon bereue ich, denn ich konnte vielen Menschen Gutes tun. Und wenn du in dich hineinhörst, dann weißt du, dass auch du das Richtige getan hast.«
Iwan lächelte sie traurig an. »Ist das so, Geliebte? Das Richtige – wer weiß schon, wie sich das anfühlt? Vielleicht hätte ich viel mehr um dich kämpfen sollen, statt dich so einfach deinem … Ehemann zu überlassen.« Das Wort Ehemann sprach er voller Abscheu aus.
»Um die Liebe kann man nicht kämpfen. Wenn mich das Leben eines gelehrt hat, dann das«, sagte Olly leise. »Liebe bekommt man geschenkt.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste Iwan lange und innig auf den Mund. »Und ich liebe dich.«
»Deine Liebe ist das größte Geschenk, das ich mir vorstellen kann«, erwiderte er zwischen zwei Küssen. »Verzeih meine dummen Worte. Du hast völlig recht, ma chére, für uns gibt es keinen Grund, wehmütig zu sein. Ganz gleich, wo und in wessen Gesellschaft wir uns auch befinden, unsere Liebe kann uns niemand nehmen. Sie wird uns begleiten über den Tod hinaus …«
»Und du hast wirklich nicht mitbekommen, dass unser Vater eine Geliebte hat? Es ist doch sogar bekannt, dass es sich um eine Ballerina mit dem Namen Anna handelt. Sogar Kinder gibt es aus dieser Liaison«, sagte Olgata.
Entsetztschüttelte Wera den Kopf. Nichts davon hatte sie in Stuttgart mitbekommen!
»Nun wundert es mich nicht, dass unsere Mutter nur noch ein Schatten ihres früheren Ichs ist«, sagte sie traurig. »Gott sei Dank ist mir selbst ein solches Elend erspart geblieben, mein lieber Eugen war mir treu ergeben.«
Olgata lächelte. »Er war bestimmt der beste aller Ehemänner!«
Die
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