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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Beroldingen? Seit Wera am Hof war, machten sich die Herren beim Abendessen rar.
    »Ob es der Tante morgen wohl wieder bessergeht?«, fragte Wera mit kleiner Stimme.
    Evelyn hatte schon eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, verkniff sie sich jedoch. »Bestimmt.«
    »Und was ist nun mit der Lotterie?«, kam es sogleich forscher. »Gibt’s da auch Bücher? Bei der Armenweihnacht gab es nämlich Bücher, auch über Obstbäume und –«
    »Was redest du nun schon wieder? Deine Tante hat mich gebeten, sie bei der Lotterie zu vertreten, aber wenn du jetzt nicht für mindestens zehn Minuten still bist, darfst du nicht mit!«, schnitt Eve Ollys Patenkind das Wort ab.
    Während Evelyn ihren Tee in kleinen Schlucken trank und auf seine beruhigende Wirkung wartete, saß Wera mit zusammengepressten Lippen da. Der Anblick des mit Müh und Not schweigenden Kindes, dessen Blick in den folgenden zehn Minuten mindestens hundert Mal zur Standuhr wanderte, war fast komisch. Evelyn spürte, wie sich ihr Groll allmählich legte.
    Obwohl die Dienstmädchen, Zofen und Kammerherren wie jedes Jahr erwartungsvoll in den Sektkübel mit den Losen griffen und sich gebührlich über die dazugehörenden Gewinne freuten, war die Stimmung gedämpfter als sonst. Alle hatten mitbekommen, dass ihre geliebte Kronprinzessin beim Abendessen eine Ohnmachterlitten hatte. Fast alle baten Evelyn, Olly Genesungswünsche auszurichten.
    Als eine der Letzten war Wera an der Reihe, ihr Los gegen einen Gewinn einzutauschen. Mit großen Augen schaute sie auf das Leinenbündel, das Evelyn vom Gabentisch nahm und ihr in den Arm legte.
    »Das ist mein erster Losgewinn«, sagte Wera atemlos. Glücklich drückte sie das Bündel an sich.
    Evelyn hatte sich schon wieder dem Gabentisch zugewandt, als sie in ihrem Rücken einen verdächtigen Knacks hörte. »Schön vorsichtig sein«, sagte sie über ihre Schulter hinweg zu Wera, die mit hastigen Bewegungen ihr Geschenk auspackte.
    »Eine Puppe!« Strahlend hielt Wera eine blondgelockte Porzellanpuppe in die Höhe.
    »Um Himmels willen, was hast du nun wieder angestellt? Der Arm ist ja ab!« Entsetzt starrte Evelyn auf das an einem Stück Gummifaden baumelnde Körperteil aus Porzellan.
    Auch Wera begutachtete den schlaffen Puppenarm für einen kurzen Moment. Dann riss sie ihn resolut ab und warf ihn im hohen Bogen hinter sich. »Eine Kriegsverletzung. Nicht mehr zu heilen. Eugen von Montenegro kann nichts dafür, dass er nur einen Arm hat. Und mir ist es auch egal. Schließlich ist niemand perfekt. Außer Tante Olly vielleicht. Aber ich habe meinen Eugen dafür umso lieber.« Sie hielt die Puppe nahe vor ihr Gesicht und gab ihr einen schmatzenden Kuss.
    Evelyn schnaubte. Eine Kriegsverletzung. So konnte man ungeschickte Kinderhände auch nennen. Und dann der Name! In Evelyns Welt hießen Puppen Lotte oder Liesel, aber gewiss nicht »Eugen von Montenegro«. Der einarmige Eugen und Wera – was für ein Paar.
    *
    Sie hatte sich zu viel zugemutet. Hatte leichtfertig eine Verantwortung übernommen, vor der andere zurückgeschreckt waren. Kostys Schwägerin Marie, die Königin von Hannover, hatte Wera nichthaben wollen. Auch ihre Schwester Mary und ihre Brüder hatten abgelehnt. Sie, Olly, hatte jedoch sofort »Hier« geschrien. Dass Kosty und Sanny nicht sonderlich belastbar waren, wusste in der Familie jeder, da war es doch Ehrensache, dass sie einsprang. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, geglaubt zu haben, besser mit Wera umgehen zu können als die Eltern selbst. Wera war doch ihr kleines, süßes Patenkind.
    Olly schluchzte auf. Immer noch wollte sie besser und klüger als andere sein. Hatte das Leben ihr nicht oft genug gezeigt, wie töricht sie war? Hatte sie nichts dazugelernt in all den Jahren?
    Sie war mit ihrem Latein am Ende. Mit ihren Kräften ebenso. Und das nicht nur in Bezug auf Wera, sondern auf alles andere auch. Die ewigen Sorgen, ob das Geld reichte für die vielen Aufgaben. Der ständige Kampf darum, vom König und seinen treuen Gefolgsleuten ernst genommen zu werden. Sicher, sie war eine Frau, dazu noch Karls Frau. Aber waren ihre Ansichten deshalb schlechter als die eines Herrn Hackländer oder eines Herrn Ministers? Scheinbar ja, denn eines hatten ihre langjährigen Erfahrungen sie gelehrt: Sie war Karl, seinem Vater Wilhelm und all den Herren in ihren Ämtern lästig! Ginge es nach ihnen, würde sie sich vorrangig der Musik, der Malerei oder anderen schönen Künsten widmen, anstatt sich

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