Die russische Herzogin
Margitta. Ganze Nachmittage verbrachten sie an Weras Fenster, von jedem, der durchs große Villenportal ein und aus ging, wollte Margitta den genauen Namen und Titel erfahren. Danach übten die Mädchen kichernd den hoheitsvollen Gang der Adelsdamen. Evelyn, die sie dabei überraschte, brachte ihnen daraufhin gutmütig einen ganzen Korb ausrangierter Schals, Spitzenhandschuhe und Ansteckblumen vorbei, damit sie sich »wie feine Damen« ausstaffieren konnten. Dass unten im Korb außerdem noch ein ausgedientes Wollkleid und ein paar solide Halbschuhe lagen, war kein Zufall. Schon mehr als einmal war Eve von Gästen oder Hofleuten auf das seltsame Mädchen an Weras Seite angesprochen worden – dass im Königshaushalt derart schlecht gekleidete Gestalten verkehrten, fanden die meisten mehr als sonderbar. Doch bisher waren weder Olly noch Weras Kammerfrau Öchsele auf die Idee gekommen,dem Kind etwas Anständiges zum Anziehen zu geben. Evelyn war erleichtert, als Margitta bei ihrem nächsten Besuch stolz das Kleid samt Schuhen trug – so konnte sie glatt als ein Botenmädchen durchgehen.
Auch über den Tod hinaus hielt Wilhelm das Zepter weiter in der Hand, zumindest im übertragenen Sinne. Als er nach seiner Aufbahrung im Schloss am 30 . Juni 1864 beerdigt wurde, hielt sich Karl Wort für Wort an Wilhelms aus dem Jahr 1844 stammendes Testament. Kaum jemand kannte den genauen Wortlaut, doch schnell sprach sich in Hofkreisen herum, dass der König verfügt hatte, sein Leichnam möge in nächtlicher Stille das Schloss verlassen. In einem Leichenzug durch die ganze Stadt, der nur von wenigen Auserwählten wie dem Hofprediger und dem Hofmarschall begleitet wurde, wollte Wilhelm dann zu seiner letzten Ruhestätte gebracht werden. Seine Schwiegersöhne, sein Enkel Wily, sein Stiefsohn Peter und Karl sollten dem Trauerzug ebenfalls beiwohnen.
Und was war mit Pauline? Und mit Kronprinzessin Olga? Den Töchtern?
Dass die Witwe nicht in Wilhelms Beerdigungsprocedere erwähnt wurde, war der erste Eklat. Der zweite folgte, als bekannt wurde, wo der König begraben werden wollte – nämlich in der Grabkapelle auf dem Württemberg, bei Katharina, seiner ersten Frau. Auch in diesem Punkt waren seine Anweisungen mehr als deutlich: Der Leichenzug sollte zeitlich so organisiert werden, dass er mit dem ersten Sonnenstrahl auf dem Württemberg ankam. Nach einer kurzen Predigt wollte der König sein Begräbnis mit einem einzigen Kanonenschuss beendet wissen.
Pauline, die Königswitwe, ertrug jede ihr zugefügte Schmach mit hocherhobenem Kopf und betete in diesen Tagen noch mehr als sonst. Als Karl und Olly ihr das Kronprinzenpalais als Witwensitz anboten – ins Neue Schloss würde ja nun das neue Königspaar selbst einziehen –, nahm sie dankend an. Doch zur selben Zeit schmiedete sie schon Pläne für ihre Abreise nach Friedrichshafen. Dorthatte sie die letzten vierzig Sommer mehr oder weniger glücklich verbracht, warum sollte sie es ausgerechnet in diesem Jahr anders halten? Hinter vorgehaltener Hand bezeichneten die Stuttgarter es fast als Ironie des Schicksals, dass nur kurze Zeit nach Wilhelms Tod sowohl seine Geliebte als auch seine Gattin die Stadt verließen. Die Damen hätten sich doch gleich eine Kutsche teilen können, lästerten spitze Zungen.
*
Evelyn und Wera standen im Turm der Villa Berg am Fenster, während sich Wilhelms Leichenzug, flankiert von zwei Dutzend Fackelträgern, wie ein gespenstisch leuchtender Wurm durch die Straßen der Stadt schlängelte. Irgendwo dort unten, beim Sarg, war auch Karl. Olly hingegen besuchte zusammen mit Weras Eltern und Fürst Gortschakow einen russischen Gottesdienst. Wenn sie der Beerdigung schon nicht beiwohnen durfte, wollte sie wenigstens für die Seele des Verstorbenen beten. Warum Ollys Bruder, Großfürst Konstantin, Wera nicht hatte mitnehmen wollen zum Gottesdienst, verstand Evelyn nicht. Rabeneltern!
»Wie das glitzert und funkelt!« Wera nickte in Richtung des Leichenzugs. »Da hatte Wilhelm eine gute Idee. Wenn ich einmal sterbe, sollen auch Fackelträger dabei sein.«
»So viel Gefühlvolles hätte ich dem König gar nicht zugetraut, er war doch ein recht nüchterner Mann«, erwiderte Evelyn.
»Was meinst du, ob Amalie von Stubenrauch auch dort unten mitläuft? Vielleicht hat sie ihr Gesicht wie ein Türke unter einem Turban verborgen, oder sie trägt einen Schleier wie eine Haremsdame, so dass keiner von den Sargträgern sie erkennt.« Der Gedanke an Türken
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