Die russische Herzogin
Menschen, der sie am dringendsten benötigte?
»Und?Bist du dem Ruf deines Herzens gefolgt?« Nervöses Kichern begleitete Ollys Frage.
Eve schaute auf den Paravent. Was für eine seltsame Frage.
»Ja, ich bin dem Ruf meines Herzens gefolgt. Ich bin in meinem alten Leben geblieben.« Nun reichte es aber mit Offenbarungen! Mit dem Fläschchen Lavendelessenz trat Evelyn resolut hinter den Paravent.
»Wie wäre es mit ein paar Tropfen mehr? Lavendel hat eine solch beruhigende Wirkung auf den Geist.« Sie hatte den Flakon schon geöffnet, als Olly sie am Handgelenk packte.
»Ich bin nicht aufgeregt, ganz im Gegenteil. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so ruhig war. Setz dich zu mir.« Sie wies auf den kleinen Schemel, der neben der Wanne stand.
Eve tat, wie ihr geheißen. Am liebsten wäre sie jedoch wieder aufgestanden und hätte sich erneut an der Wäsche zu schaffen gemacht. Es hatte sehr wohl Zeiten gegeben, in denen sie sich gewünscht hätte, dass die Kronprinzessin sie stärker ins Vertrauen zöge. Rede mit mir! Erleichtere dein bedrücktes Herz! Bei mir sind deine Geheimnisse sicher! , hatte sie ihr oft im Stillen zugerufen. Doch hier und jetzt wollte sie nicht wissen, was Olly umtrieb. Sie hatte sogar Angst davor.
Olly aber schien wild entschlossen, sich ihr anzuvertrauen.
»Eve, könntest du dir vorstellen, also, ich meine das natürlich rein hypothetisch, aber … könntest du dir vorstellen, dass auch ich solch ein neues Leben beginne?« Sie setzte sich in der Wanne auf, Wasser schwappte über den Rand auf den Boden.
»Sie, Hoheit? Ich weiß nicht recht. Wie sollte es aussehen, dieses neue Leben?« Noch während Evelyn sprach, glaubte sie zu ahnen, worauf die Zarentochter anspielte. Olly und der russische Fürst? Das konnte doch nicht sein, oder?
»Ich weiß, allein der Gedanke ist verrückt. Dennoch …« Träumerisch ließ Olly ihre rechte Hand durchs Wasser gleiten. »Die Vorstellung ist so süß, so verführerisch.«
Olly und der russische Fürst. Eve musste nur in Ollys verliebte Augenschauen, und der Gedanke war auf einmal gar nicht mehr so abwegig.
Und was ist dann mit mir?, schoss es ihr durch den Kopf. Würden ihre Dienste noch gebraucht werden in Ollys neuem Leben? Oder würde auch sie die Zelte abbrechen, alles hinter sich lassen und nochmals von vorn beginnen können? Ihre Mutter war alt und konnte Hilfe gut gebrauchen. Vielleicht würde man ihr für ihre treuen Dienste ein kleines Appartement schenken, wo sie ganz für sich allein würde leben können. Oder gab es womöglich noch einen ganz anderen Weg, den sie zu beschreiten vermochte?
»Evelyn, wollen Sie meine Frau werden?« Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Verehrer noch einmal fragen würde. »Ja!« Auch das konnte sie sich vorstellen. Sie würde wollen. Noch immer.
»Solch ein neues Leben würde viel Mut bedürfen«, sagte sie vorsichtig. »Es würde Gerede geben, einen Skandal sogar.«
»Über Skandale wächst irgendwann Gras, n’est-ce pas?« Ein nonchalantes Schulterzucken begleitete Ollys Aussage. Sie sah plötzlich aus wie ein ungestümes junges Mädchen, überzeugt davon, dass ihm die Welt gehöre.
Einen Moment lang waren beide still, gerade so, als wären sie über ihre eigene Kühnheit erschrocken. Dann lachten sie gleichzeitig lauthals los.
»Ach Eve, ich bin so glücklich, dass du mich verstehst!« Tropfnass, wie sie war, ergriff Olly Eves Hand und drückte sie.
Keine von ihnen hörte das Klopfen an der Tür.
Kreideblass stand plötzlich Karl vor ihnen, in seiner linken Hand hielt er einen Briefumschlag.
Rasch hielt Eve Olly ein Handtuch hin, welches diese ebenso hastig entgegennahm.
Karl schien die Nacktheit seiner Frau nicht zu bemerken.
»Eine Depesche vom Hof«, sagte er ohne Begrüßung. »Der König ist tot.« Sein Blick irrte zwischen seiner Frau und ihrer Hofdame hin und her.
»Wir müssen zurück nach Stuttgart!«
Nocham selben Tag, dem 25 . Juni, machte die telegraphische Nachricht vom Tod des Königs in Bad Kissingen die Runde. Die Kurgäste reagierten auf ihre Art, nämlich mit einem lauten »Hurra!«. Wo immer Karl und Olly auftauchten, wurden sie zu ihrer neuen Regentschaft beglückwünscht.
Nach dem ersten Schock fasste sich Evelyn schnell. Was blieb ihr auch anderes übrig? So rasch war ihr Traum von einem neuen Leben Wirklichkeit geworden, wenn auch in völlig anderer Art, als sie geglaubt hatten. Nun war sie also die Hofdame der Königin. Olga würde sie
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