Die russische Herzogin
Rat: Wenn ich tot bin, wird’s ein Hauen und Stechen sondergleichen geben. Pass auf, Kind, dass du dabei nicht unter die Räder kommst …«
Es war morgens um fünf, als König Wilhelm I. von Württemberg starb. Während Dr. Elsässer den genauen Todeszeitpunkt in seinen Unterlagenfesthielt, wurden eilig Boten losgeschickt, um die Familie zu informieren. Auch nach Bad Kissingen, wo Olly und Karl ahnungslos weilten, entsandte man einen Kurier.
Der König war tot. Hoch lebe der König.
Aus übermüdeten, vor Schreck geweiteten Augen schaute Wera Wilhelm an. Es war vorbei. So sah also ein Toter aus. Eigentlich hatte sie sich das Sterben dramatischer vorgestellt.
Nun würden Onkel und Tante wirklich und wahrhaftig das Zepter übernehmen. Dabei hatte Olly mit ihren Wohltätigkeiten schon jetzt so viel zu tun. Und Karl ging doch lieber spazieren, anstatt etwas Sinnvolles zu tun, wie ihre Tante zu sagen pflegte. Leicht würde das neue Amt für beide nicht werden … Da konnten sie doch ein Kind gar nicht mehr gebrauchen, oder? Bestimmt wäre sie, Wera, erst recht eine Last für die beiden. Das bedeutete, dass sie endlich nach Russland zurückkehren konnte.
Wera drückte dem toten König freudestrahlend einen dicken Kuss auf die kalte Wange.
15. KAPITEL
E ve spürte die Wandlung ihrer Herrin sofort, auch wenn sie sich nicht gleich einen Reim darauf machen konnte.
Der Glanz in Ollys Blick. Die leicht gehobenen Mundwinkel, als schmunzele sie unentwegt über etwas. Selbst ihr Porzellanteint schimmerte rosiger als sonst, dazu die Lippen, die an manchen Stellen leicht wund schienen … Eve war zwar keinesfalls eine Expertin, was die geschlechtlichen Belange zwischen Mann und Frau anging, aber dass man nach dem Küssen eines bärtigen Herrn ein wenig derangiert aussah, wusste sie aus eigener Erfahrung.
»Ach Eve, mein Spaziergang war einfach wunderbar«, sagte Olly und umarmte sie überschwänglich.
Ein Spaziergang. In der Mittagshitze. Eve lächelte in sich hinein.
»Allerdings fühle ich mich nun sehr erhitzt.« Eine Spur zu theatralisch fächelte sich Olly Luft zu.
»Wenn Hoheit wünscht, lasse ich Wasser für ein Bad kommen. Lauwarm, mit ein bisschen Lavendelessenz. Genau das Richtige in dieser Hitze.« Evelyn zeigte in Richtung des kleinen Erkers, wo zwischen zwei Fenstern und hinter einem Paravent eine große, bequeme Badewanne stand.
»Du bist ein Schatz!« Schon umarmte Olly sie erneut, diesmal drückte sie ihr sogar einen Kuss auf die Stirn.
Eve hob unmerklich die Brauen. So aufgekratzt kannte sie die Kronprinzessinnun wirklich nicht. Sie griff nach dem Klingelzug, um nach den mürrischen Hotelangestellten zu läuten.
»Soll ich Ihre Haare waschen?«, fragte Evelyn, als Olly kurze Zeit später wohlig seufzend in der Wanne lag.
»Nein danke. Eigentlich möchte ich gern ein wenig allein sein«, erwiderte die Kronprinzessin.
Auch gut, dachte Evelyn und begann, einen Stapel gebügelte Wäsche in die diversen Schränke und Kommoden zu räumen.
Eine Zeitlang war hinter dem Paravent nur Wasserplätschern und ab und an ein leises Seufzen zu hören. Die Kronprinzessin war glücklich. Irgendetwas war geschehen. Etwas Gutes, Schönes.
»Eve?«
»Ja, Hoheit?«
»Hast du jemals darüber nachgedacht, dein bisheriges Leben völlig umzukrempeln? Von einem Tag auf den anderen etwas ganz Neues zu beginnen? Alles hinter dir zu lassen, ganz gleich, welche Konsequenzen dies mit sich brächte?« Das Plätschern hinter dem Paravent hatte aufgehört, und Evelyn hatte das Gefühl, als warte die Kronprinzessin angespannt auf ihre Antwort.
»Vielleicht hat es solch einen Zeitpunkt tatsächlich schon einmal gegeben«, sagte sie gedehnt.
»Evelyn, wollen Sie meine Frau werden?« – Wie oft träumte sie noch heute von diesem Moment! Ihr Verehrer, ein hochgeschätzter Gast des Stuttgarter Hofes, sagte stets Evelyn zu ihr, nie Eve. Mit seinem Antrag hatte er sie überrumpelt, sie waren mitten in den Vorbereitungen gewesen für eine weitere Sitzung …
Eve schüttelte ärgerlich den Kopf. Nicht daran denken! Sonst wurde sie den Hauch Wehmut, der ihr Herz umgab, für den Rest des Tages nicht mehr los.
Niemand hatte damals etwas von ihrer Liaison mitbekommen, sie waren beide klug genug gewesen, sich keinerlei Gerede auszusetzen. Das »Ja« hatte ihr auf der Zunge gelegen. Sie seine Frau – das hätte sie sich schon vorstellen können. Wenn sie ehrlich war, konnte sie es heute noch. Aber die Kronprinzessin verlassen? Den
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