Die russische Herzogin
gedämpften Schritte seiner Ledersohlen waren zu hören.
Ist das nicht typisch? Kaum wird ihm eine Unterhaltung unbequem, geht er davon, dachte sie missfällig. Doch schon im nächsten Moment ließ sie die Hände erstaunt sinken: Karl hatte die Arme um sie gelegt. Unbeholfen strich er ihr über den Kopf, sein leicht süßliches Parfüm umwehte ihre Nase.
»Olly, Liebste … Lass uns nicht streiten. Ich weiß, ich bin unleidlich. Ich hasse mich selbst dafür. Nie, nie im ganzen Leben will ich so werden wie mein Vater, allein die Vorstellung bringt mich um den Verstand.« Er nahm ihre Hände, suchte mit seinen verzweifelten Augen ihren Blick.
»Ich will doch alles richtig machen, verstehst du? Für dich, für uns, für unser Land. Alles richtig machen …« Abrupt wandte er sich ab und ging zum Fenster. Olly schaute ihm nach, sah seine von einem stummen Weinen zuckenden Schultern. Noch bevor sie etwas Tröstendes hätte sagen können, war er wieder bei ihr, kniete sich vor ihr auf den Boden.
»Olly, ich flehe dich an, verzeih mir! Ich brauche dich mehr, als du denkst. Ich … ohne dich bin ich doch gar nichts. Ich verspreche dir, zukünftig werde ich dich viel öfter um Rat fragen. Aber bitte, bitte, verlasse mich nicht!«
DerSommer ging ins Land, der politische Neuanfang war gemacht, das Volk war zufrieden damit. Nun gierte es danach, seinen neuen König samt Gattin kennenzulernen. Karl und Olly brachen – ihren halben Hofstaat samt Wera im Schlepptau – zu einer großen Reise durchs Land auf: Heilbronn, Schwäbisch Hall und Öhringen, Ulm und Ravensburg – überall wurde das hoheitsvoll winkende Königspaar aufs herzlichste empfangen. Mit jedem Tag der Reise verbesserte sich die Stimmung zwischen den Eheleuten mehr. Während der langen Kutschfahrten blieb ihnen endlich ausreichend Zeit für Gespräche. Und wenn sie sich dabei gegenseitig auch nicht völlig ihre Seelen offenlegten, so kamen sie sich doch wieder näher. Dazu trugen auch die gemeinsamen Erlebnisse und Begegnungen bei. Immer wieder stupste Olly Karl in die Seite, um ihn auf einen besonders schönen Landschaftsstrich aufmerksam zu machen. Er überraschte sie mit seinem breiten Wissen über die Landschaften, durch die sie fuhren. Und abends, nach den diversen Empfängen in Rathäusern oder kleinen Landschlössern, ließen sie bei einem letzten Glas Portwein genüsslich den Tag Revue passieren. Ganz allmählich stellte sich das einstige Gefühl der Zweisamkeit, der Zusammengehörigkeit, das Olly längst verloren wähnte, wieder ein: Sie zwei gegen den Rest der Welt! Es war zwar nicht die große, leidenschaftliche Liebe, von der sie einst geträumt hatte, aber es war besser als die einsamen Jahre zuvor.
Als sie im September den südlichsten Zipfel Württembergs erreichten und sich ihre Reise dem Ende zuneigte, wurde Olly melancholisch.
»Wenn ich darüber nachdenke – ich könnte noch ewig mit dir weiterreisen! Eigentlich ist es schade, dass unser Land so klein ist«, sagte sie, während der Bodensee in Sichtweite kam. Ach, warum konnte man schöne Gefühle nicht einfach wie ein Stück Trockenobst konservieren?
»Schau nicht so verdrießlich drein, meine Liebste. Heißt es nicht, das Beste kommt zum Schluss?«, sagte Karl vergnügt und küsste sie auf die Stirn.
*
DieStraßen von Friedrichshafen waren mit Bändern überspannt, an denen bunte Wimpel hingen. Links und rechts standen alle paar Meter Fackelträger, die Wera sehr an König Wilhelms Beerdigung erinnerten. Obwohl – mitten in der rabenschwarzen Nacht hatten die Fackeln noch viel gespenstischer gewirkt als nun im ockerfarbenen Sonnenlicht. Hier, inmitten der vielen Kinder, herausgeputzt in ihren Trachten, war die Stimmung viel fröhlicher. Dazu die Mütter, ebenfalls in Tracht, mit hohem Kopfschmuck. Männer, die Fischernetze hochhielten und große Fahnen schwenkten. Hier wurde gesungen, ein Stück weiter wurde getrommelt, dort gab es einen mit Blumen geschmückten Brunnen, auch die Häuserfronten trugen Blumenschmuck – bald wussten Weras Augen nicht mehr, wo sie sich festhalten sollten. In allen Städten war der Empfang herzlich gewesen, aber sie hatte das Gefühl, dass sich die Friedrichshafener besonders viel Mühe gemacht hatten, dass ihre Gunstbezeugung von mehr Gefühl durchdrungen war. Lutz von Basten hatte ihr erzählt, dass die Bodenseeanrainer ganz besondere Völkchen waren, scheinbar hatte er wieder einmal recht.
Lutz … was er wohl zu dem ganzen Tamtam sagen
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