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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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würde?, fragte sich Wera, während sie ein riesiges buntes Banner bewunderte, auf dem Karls und Olgas Namen eingestickt waren. Der Unteroffizier fehlte ihr. Tante Olly hatte gemeint, dass auf ihrer Reise für längere Wanderungen wahrscheinlich keine Zeit sein würde. Und falls ihr doch einmal der Sinn nach einem Marsch stünde, könne Cäsar Graf von Beroldingen sie begleiten.
    Unwillkürlich drehte sich Wera zur hinter ihnen fahrenden Kutsche um, in der Evelyn, der Oberstallmeister und eine säuerlich dreinschauende Madame Trupow fuhren. Graf Cäsar war zwar auch ganz nett, aber er wollte immer nur über Pferde und das Reiten reden. Mit Lutz hingegen konnte sie über Gott und die Welt sprechen, und das, wie ihr der Schnabel gewachsen war.
    Margitta hingegen fehlte ihr nicht, vielmehr war sie wütend auf die Tochter der Wäscherin, die sie in letzter Zeit immer öfter versetzt hatte. Wenn Wera wissen wollte, warum sie nicht gekommen war, zuckte Margitta nur mit den Schultern. Stuttgart sei nun einmalsehr spannend, da gäbe es immer etwas Neues zu entdecken, sagte sie und stachelte damit Weras Neugier nur noch mehr an. Auch sie hätte die Stadt nur allzu gern genauer erforscht, aber sie war ja im Schloss gefangen. Bis auf die Ausflüge mit Lutz. Oder diese lange Reise hier. Ha, wenn Margitta wüsste, was sie schon alles Neues entdeckt hatte!
    »Weißt du, woran mich das alles erinnert?«, rief Olly Karl so laut ins Ohr, dass Wera mithören konnte. »An unsere allererste Fahrt nach Stuttgart hinein. Damals war ich eine junge Braut. Und heute …« Sie brach ab und nahm lächelnd ein Blumenkörbchen entgegen, das ihr ein junges Mädchen entgegenstreckte.
    »Heute bist du die Königin von Württemberg, und unser Volk liebt dich mehr denn je. Schau, alles für dich!« Karls Handbewegung schloss die Menschenmengen und das Friedrichshafener Schloss, das gerade in Sichtweite kam, mit ein. Und dahinter lag der Bodensee, auf dem überall in Ufernähe kleine Boote schaukelten.
    »Du weißt doch, ich tue alles, um dich glücklich zu machen. Alles, was in meiner Macht steht«, sagte Karl und tätschelte Ollys Hand.
    Mürrisch betrachtete Wera das Königspaar. Wie zwei Turteltäubchen führten Onkel und Tante sich auf. Da war es kein Wunder, dass die beiden für sie so gut wie keine Zeit mehr hatten.
    »Sei doch froh, dann hast du deine Ruhe und kannst dich den Dingen widmen, die dir wichtig sind«, hatte Lutz gesagt, als sie sich deswegen bei ihm beschwerte.
    Inmitten eines gewaltigen Kanonendonners runzelte Wera die Stirn. So genau wusste sie gar nicht, was ihr wichtig war. Obwohl – das Wandern war ihr sehr wichtig. Es war ihr »Steckenpferd«, wie Lutz es nannte. Und Naturbeobachtungen waren ihr ebenfalls wichtig. Inzwischen konnte sie schon ziemlich viele Vögel unterscheiden. Das Sammeln von Schneckenhäusern und schönen Steinen gehörte auch zu ihren Steckenpferden, das hatte sie mit ihrer Tante gemeinsam. Und das Gedichteschreiben, das vor allem! Erst gestern hatte sie wieder eine Strophe verfasst.
    LeichteWolken ziehen leise
    Auf der Himmelbläue her,
    Blicken auf die Erde nieder,
    Auf’s bewegte, breite Meer.
    Eigentlich hatte sie vor, das Gedicht Olly zum Geburtstag zu schenken, aber bisher wollte ihr der Bogen von den Wolken zum Königinnendasein nicht gelingen.
    Eigentlich gab es ziemlich viele Dinge, die ihr wichtig waren, erkannte Wera, während die Kutsche auf ein großes Rondell vor dem Schloss auffuhr. Und eigentlich hatte sie ihre Tante ziemlich lieb. Sie schob unbeholfen ihren Arm unter Ollys.
    »Was ist denn das für ein Menschenauflauf?«, wunderte sich Olly, als sie noch näher auf das Schloss zukamen. »Das sind doch nicht die Bediensteten, da stehen doch – ich werd verrückt!«
    Unter Weras begeistertem und Karls amüsiertem Blick sprang Olly aus der Kutsche.
    »Sascha! Maman! Tante Helene! Und ist das nicht« – sie drehte sich kurz zu Wera um – »deine Schwester Olgata!«
    Zögerlich stieg Wera aus dem Wagen, während die Erwachsenen sich vor Rührung schluchzend umarmten. Ihre ältere Schwester war hier? Hatte man Olgata etwa auch verstoßen? Und wo waren ihre Eltern?
    Ein wenig fremdelnd reichten sich die Schwestern die Hand. Wera, die krampfhaft nach freundlichen Begrüßungsworten suchte, war fast erleichtert, als Olly neben ihnen zur Salzsäule erstarrte. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, und Wera befürchtete schon, dass ihre Tante vor allen Leuten in Ohnmacht fallen würde.

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