Die russische Herzogin
denken. Doch als sie sich nun in ihrem neuen Amtszimmer umschaute, das wie fast alle Räume im Neuen Schloss unterkühlt und streng wirkte, hätte sie alles dafür gegeben, Iwans warme, beschützende Umarmung zu fühlen.
Der Königsthron – war er es wirklich wert?
16. KAPITEL
D ie nächsten Monate wurden turbulent. Die Eifersüchteleien und Unstimmigkeiten unter Ollys Hofdamen hielten an, was allerdings keine weiteren Kreise zog – am Hof war man viel zu sehr mit der großen Politik beschäftigt.
Obwohl Karl zeit seines Lebens von sämtlichen Regierungsgeschäften ferngehalten worden war, gelang es ihm, sich in kurzer Zeit zumindest einen Überblick zu verschaffen. Bestürzt registrierte er, wie umfangreich die Aufgaben waren, die es zu bewältigen galt. Sogleich fasste er einen Entschluss mit weitreichenden Folgen: Wollte er auch nur eine Minute freie Zeit am Tag genießen, galt es, die Verantwortung schnellstens auf mehrere Schultern zu verteilen. Als Olly hörte, dass ihr Mann per Dekret den Ministerrat enorm gestärkt hatte, war sie entsetzt. Wie ein Sturm kam sie in sein Amtszimmer gerauscht.
»Wie konntest du das tun? Weißt du denn nicht, dass dies der Anfang vom Ende ist? Bald tanzen dir die Roten auf der Nase herum, führen dich vor wie einen Tanzbären.« Angewidert schüttelte sie den Kopf. »Wie sagte Vater so trefflich? Die Macht eines Souveräns gründet sich auf Speerspitzen. Daran hättest du dich erinnern sollen! Eine starke Hand, eine schlagkräftige Garde, höchstens einige wenige verlässliche Ratgeber – so agiert ein Souverän von Gottes Gnaden.«
»Wie du daherredest! Du bist wirklich die Tochter deines Vaters. Aberdie Zeiten von Zar Nikolaus sind vorbei, Gott sei Dank, möchte ich hinzufügen. Unser Württemberg ist kein absolutistisch geführtes Land«, erwiderte Karl heftig. »Und ich will ein moderner Landesvater sein. Schau dir den Reformstau doch an, den mein Vater hinterlassen hat. Den gilt es wie einen Berg Schippe für Schippe abzutragen. Dazu braucht es jedoch mehr als einen Mann, es braucht eine ganze Armada Männer!« Angeekelt versetzte er dem Stapel Akten auf seinem Schreibtisch einen Schubs. Die obersten beiden fielen auf den Boden.
»Du hättest mich wenigstens um meine Einschätzung der Dinge fragen können, bevor du solch weitreichende Entscheidungen triffst. Wenn du dich über jemanden beklagen möchtest, bin ich dir ja auch gut genug«, sagte Olly, während sie sich nach den Akten bückte. Sie wollte die Papiere schon auf den Schreibtisch zurücklegen, als ihr Blick auf das obere Blatt fiel.
»Was ist denn das? Da … da steht, dass du vorhast, Freiherrn Karl von Varnbüler nicht nur die Leitung des Außenministeriums zu übertragen, sondern ihm auch noch das Ministerium des Königlichen Hauses anvertraust!«
Schwungvoll setzte Karl seine Unterschrift unter ein Dokument, dann erst schaute er auf.
»Ja und? Was gefällt dir daran nun wieder nicht?«
Olly war fassungslos. Musste sie ihrem Mann wirklich erklären, dass eine solche Machtkonzentration in einer Hand, wenn es sich nicht um die des Regenten handelte, äußerst schädlich sein konnte?
»Willst du dir wirklich einen schwäbischen Gortschakow heranziehen?«
Karl schaute sie entgeistert an. »Ich frage mich augenblicklich viel eher, was du eigentlich willst! Soll ich fortan jeden meiner Schritte zuerst mit dir besprechen? Soll ich mich zum Gespött meiner Männer machen, indem ich dich um Erlaubnis frage, bevor ich einen Minister einstelle oder entlasse?«
»Was wäre so schlimm daran?« Wütend funkelte sie ihn an. »Habe ich nicht immer zu dir gehalten? Habe ich nicht stets Vertrauen in dich gesetzt, mehr, als du selbst in dich setztest? Und nun führstdu dich auf wie dein Vater in seinen besten Zeiten. Ist das der Dank? Soll ich als Königin genauso wenig zu sagen haben wie bisher? Wozu habe ich mich jahrzehntelang in Dingen der Politik stets auf dem Laufenden gehalten? Meine Meinung wird in allerhöchsten Kreisen sehr geschätzt, du jedoch lehnst es ab, dich mit mir zu beratschlagen.« Bei den letzten Worten sank Olly zusammen wie ein Blasebalg, der die Luft verlor. Mutlos setzte sie sich auf den nächstbesten Stuhl und verbarg ihr Gesicht hinter beiden Händen.
Streit und Hader. Die ewig alte Leier.
»Ich bin das alles hier so leid«, murmelte sie vor sich hin.
Für einen langen Moment regte sich nichts. Die Wanduhr schlug die volle Stunde, Karls Stuhl schrammte am Boden entlang, die
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