Die russische Herzogin
wissen wollte, was sie und Iwan hier zu tun hatten. Aber bisher waren sie von neugierigen Spaziergängern verschont geblieben. Zu viel gab es am ersten Tag im Friedrichshafener Schloss zu tun, vor allem, da am Abend das große Fest anlässlich ihres Geburtstags stattfinden sollte.
Draußen auf dem See schipperten mehrere Fischerboote vorbei, die Wellen, die gegen Ollys Schienbeine schwappten, wurden heftiger. Sie zog die Beine an und setzte sie auf den sonnenwarmen Planken des Holzstegs ab.
»Ein Mensch muss tun, wozu er bestimmt ist«, sagte Iwan. Er zückte ein seidenes Taschentuch, hob ihre Füße auf seinen Schoß und begann, sie mit sanfter Zärtlichkeit abzutrocknen.
»Vielleicht haben wir uns beide zu viele Illusionen gemacht?«
Olly schwieg. Und was, wenn nicht? Was, wenn sie sich eines der Boote schnappten und damit auf und davon fuhren? In die Schweiz odernach Italien, irgendwohin, wo es mehr solcher Momente wie diesen gab. Im Wasser baumelnde Füße, ein Herz, so leicht wie das eines sechzehnjährigen Mädchens, bereit, mit den Möwen durch die Lüfte zu schweben. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, Iwan zu umarmen, sich an ihn zu drängen, sein Gesicht, seinen Hals und seinen Nacken mit ihren Küssen zu bedecken. Die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, war noch immer ungebrochen.
Vorsichtig, aber bestimmt setzte Iwan ihre Füße auf dem Plankenboden ab. Olly kam es so vor, als wollte er damit nicht nur eine räumliche Distanz zwischen ihnen schaffen. Ach Iwan, du bist so viel klüger als ich …
»Als ich vorhin gesehen habe, wie du aus der Kutsche stiegst – da wurde mir fast schwindlig vor Ehrfurcht. Lach nicht, ich meine es ernst! Olly, du bist und bleibst die Tochter deines Vaters, eine Romanow vom Scheitel bis zur Zehenspitze. Was für eine große Königin hat das kleine Württemberg mit dir bekommen! Dein Vater Nikolaus wäre stolz auf dich.« Iwans Blick war warm und voller Bewunderung, aber ohne eine Spur Leidenschaft.
Olly blieb nichts anderes übrig, als seinen Tonfall aufzunehmen. Keine geflüsterten Liebesschwüre, kein sehnsuchtsvolles Seufzen. Nicht hier, nicht heute, vielleicht nie mehr? Sie schnaubte.
»Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass ich die Königskrone erst jetzt trage. Er sah mich schon in jungen Jahren auf dem Thron.«
»Nur wenigen Menschen ist es bestimmt, Großes im Leben zu leisten. Du bist wie ich dazu gemacht worden, Menschen zu führen, Großes zu tun!« – genau das hatte ihr Vater zu ihr gesagt, kurz nachdem Karl in Palermo seine Aufwartung gemacht hatte. Sie war, was Karl anging, voller Zweifel gewesen. Sicher, er war sympathisch und gebildet. Aber sie hatte kein Flattern in der Magengegend verspürt, ihre Knie waren bei seinem Anblick nicht weich geworden. Spätabends war ihr Vater zu ihr gekommen und auf ihrer Bettkante sitzend hatte er ihr von seiner älteren Schwester erzählt. Katharina Pawlowna, die große Königin, die Württembergdurch Jahre größter Not geführt hatte. Seltsam, dass ihr die Worte ihres Vaters gerade jetzt wieder einfielen.
»Vater wollte immer, dass ich so werde wie seine Schwester Katharina.«
Iwan schüttelte den Kopf. »Da täuschst du dich. Dein Vater wollte immer, dass du Olga Nikolajewna Romanowa bleibst. Du warst ihm immer gut genug! Er wollte, dass du deine Pflichten mit frohem Herzen erfüllst, so, wie er es selbst bis zum letzten Atemzug getan hat.«
Irritiert schaute Olly ihn an. »Wie du sprichst … Als wäre ich einer deiner Soldaten, den es motiviert in den Krieg zu schicken gilt.«
»Ist das Leben nicht ein ewiger Krieg, oder besser gesagt, eine nicht enden wollende Anzahl von Schlachten, die es zu schlagen gilt? Der Allmächtige hat unseren Weg vorgezeichnet, aber einen gemeinsamen Weg für uns zwei hat er dabei nicht vorgesehen. Du und ich, wir werden stark sein müssen. Nein, bitte unterbrich mich nicht«, wehrte er Ollys Einwand ab. »Es ist wichtig, dass ich dir das sage. Olly, Geliebte, ich werde dich immer lieben und immer für dich da sein! Eine einzige Depesche reicht aus, und ich werde dir zu Hilfe eilen, ganz gleich, an welchem Ort der Welt ich mich befinde. Versprich mir, dass du mich rufen wirst, solltest du je in Nöte geraten.«
»Ja, aber …« Verwirrt schaute Olly ihn an. »Werden wir uns denn zukünftig nicht öfter sehen? Als Königin werde ich reisen, in Kurbäder, ans Meer …« Sie machte eine vage Handbewegung. Ein kleiner Teil von ihr hatte
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