Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
›Laßt die Toten die Toten begraben.‹ Und außerdem, Vorsicht ... Wir stehen unter scharfer Beobachtung. Gerade jetzt dürfen wir uns keine Fehler leisten. Der Poker, welche Krankenhäuser in Berlin geschlossen werden, ist noch lange nicht vorbei ...«
In der Ecke, wo sich eine verschworene Gemeinde von der trinkfesten Intensivstation um die flüssigen Restbestände kümmerte, wurde laut gelacht. Kindel sinnierte stumm vor sich hin. Hatte ich seinen Blutalkoholspiegel unterschätzt, oder wollte er mir etwas Bestimmtes sagen? Ich wartete, es kam aber nichts mehr. Er wollte nur noch wissen, wer jetzt Teamchef der deutschen Mannschaft werden solle. Zeit, mich zu verabschieden.
Mit etwas unsicheren Schritten brachte Kindel mich zur Tür, im Gehen hielt er mich kurz fest.
»Dr. Hoffmann, wegen dieser Akte. Ich glaube, daß Sie Ihre Arbeitszeit besser nutzen können. Aber, wenn Sie sie noch finden, sagen Sie mir auf jeden Fall Bescheid. Wir können im Moment gar nicht vorsichtig genug sein.«
Mischas Akte war im Moment nicht mein dringendstes Problem. Erst einmal mußte ich mein Auto finden.
9
Natürlich hatte ich bei Kindel zu viel getrunken, am Samstag wachte ich mit einem deutlichen Pochen unter der Schädeldecke auf, das ich bis zum Mittag nicht loswerden würde. Ich stand auf, duschte, putzte die Zähne und was man sonst morgens so macht und trabte zum Bäcker. Pünktlich um neun Uhr klingelte ich bei Celine zum Samstagsfrühstück.
Für das Wochenende haben wir ein festes Ritual: Samstag morgen besorge ich Brötchen und Zeitung zum gemeinsamen Frühstück. Wenn wir nicht etwas zusammen unternehmen, darf sich bis Sonntagabend jeder selbst so gut erholen, wie er kann. In meinem Fall heißt das viel schlafen und viel fernsehen. Sonntagabend ist dann gemeinsames Kochen angesagt. Vielmehr ich koche, und Celine kritisiert. Das ist immer noch besser als umgekehrt, denn gut zu kochen ist eine Qualität, die selbst Celine, ansonsten fast omnipotent, nicht für sich in Anspruch nimmt. An diesem Wochenende allerdings wollten wir gleich nach dem Frühstück in den Spreewald, ich hatte Celine einen Ausflug nach Schlepzig versprochen.
Da AIPIer Harald Wochenenddienst hatte, ich die Patienten nicht hatte einfrieren können und vom Spreewald auch nicht mal eben in der Klinik vorbeischauen konnte, rief ich noch rasch auf der Station an.
Ich bekam die Lernschwester Sybille ans Telefon, von der das Gerücht ging, sie habe etwas mit Harald. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr.
»Es ist alles in Ordnung, Herr Doktor. Nur der Frau Schön mit der operierten Galle geht es nicht so gut, aber der Doktor hat schon Antibiotika angesetzt.«
Celine war nicht begeistert über einen Zwischenstopp in der Klinik, doch Frau Schön hatte schon entschieden genug bei uns mitgemacht. Ich hievte unsere Fahrräder auf den Dachträger, während Celine sich noch die Beine rasierte – ihre Art des stummen Protestes.
Frau Schön sah schlecht aus. Ihre Atemfrequenz war erhöht, ihre Temperatur ebenso. Für AIPler Harald war die Sache klar.
»Eine Sepsis! Ich habe sie schon breit abgedeckt.«
»Haben Sie vorher Blutkulturen abgenommen?«
»Nein. So lange wollte ich nicht warten.«
Er würde es nie kapieren. Würden die an sich nicht falschen Antibiotika versagen oder käme es zu Komplikationen, hätten wir mit den Blutkulturen wenigstens gewußt, mit welchem Erreger wir es zu tun haben. Diese Chance war vertan.
Ich schaute mir Frau Schön gründlich an. Eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der Diagnostik bettlägeriger Patienten heißt: »Guck auch unter die Bettdecke.« Und ein zweites, ebenso streng gehütetes Geheimnis: »Guck auch unter Pflaster und Verbände.« Beides tat ich. Die Operationswunde selbst sah unschuldig aus, saß jedoch auf einem kleinen Hügel. Der Hügel war prall und zu warm. Nach einer örtlichen Betäubung war die Naht schnell geöffnet, sofort quoll uns dicker Eiter entgegen. Ich machte einen Abstrich für das Antibiogramm, spülte die Wunde mit Wasserstoff und deckte sie steril ab. Die Antibiotika reduzierte ich auf Flucloxacillin.
»Hätte man die Narbe nicht vorher mit Ultraschall untersuchen sollen?«
Ich kommentierte Haralds Expertenmeinung nicht, schließlich wollte ich in den Spreewald und nicht wegen Mordes ins Kittchen. Trotz seines Protestes ließ ich ihn genau aufschreiben, auf welche Punkte er in welchen Zeitabständen zu achten habe.
Endlich ging es bei schönstem Sonnenwetter auf nach
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