Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
alles nur noch schlimmer geworden. Plötzlich sollen wir einen Wirtschaftsbetrieb führen, sind wir doch gar nicht für ausgebildet. Wir in der Kardiologie sind ja noch ganz gut dran, weil wir über die Herzkatheter Geld für die Klinik erwirtschaften.«
Marlies hatte sich zu uns gesellt.
»So gut sind wir in der Kardiologie auch nicht dran. Plötzlich ist Dr. Schreiber zur Fortbildung in den USA, während ich einen übermotivierten AIPler am Hals habe. Und was wird passieren, wenn Schreiber aus den USA zurückkommt? Wahrscheinlich sucht er sich irgendwo anders eine tolle Stelle. Oder er läuft bei uns nur noch als Star-Doktor herum, und die Routine bleibt wieder an uns hängen.«
Professor Kindel war seinerzeit selbst zur Ausbildung in den USA gewesen und erzählte immer gerne davon. Ich fürchtete, Marlies hätte eine Mine losgetreten.
»Das sehe ich nicht so. Mir hat mein Jahr in den USA auch nicht geschadet, und Schreiber ist nicht der Typ, der sich danach zu fein zum Blutabnehmen wäre. Beschwert euch nicht immer nur, Kinder! Ist doch eine tolle Chance für Schreiber. Was meint ihr, wie lange ich Dohmke dafür bearbeiten mußte!«
Während Professor Kindel an seinem Weinglas nippte, dachte ich an mein Gespräch mit Schreibers Frau Astrid.
»Und warum dann plötzlich diese Hektik? Schreiber hatte ja kaum Zeit, seine Koffer zu packen!«
»Sie kennen doch Dohmke. Wenn er eine Entscheidung getroffen hat, muß die doch immer noch gestern umgesetzt werden.«
Das stimmte, paßte aber nicht zu Astrids Version von dem Telegramm aus USA, daß Schreiber sofort kommen solle.
Mit den Reden von Heinz Valenta und Dohmke waren die Höhepunkte des Festes erreicht, auch Frau Kindels Lachs-Käse-Weintraubenschnittchen waren bis auf wenige Reste vertilgt. Wie häufig bei solchen Veranstaltungen schien genau jetzt in der Klinik plötzlich der Teufel los zu sein. Fast alle meine Kollegen ließen sich so um zehn Uhr per Handy dringend in die Klinik rufen – und lagen bald danach friedlich schnarchend in ihrem bequemen Bett, während die weniger Cleveren den sattsam bekannten Geschichten aus der Steinzeit der Medizin lauschen mußten, als Professor Dohmke offensichtlich nur haarscharf am Nobelpreis vorbeigeschlittert war. Mit abnehmender Zahl an Zuhörern verabschiedete sich schließlich auch der.
So gegen elf Uhr wurde mir klar, daß ich den rechtzeitigen Absprung verpaßt hatte. Nur, ich mag Kindel, er war uns immer ein Vorbild gewesen, und es war sein letzter Abend als unser Chef. Ich fand mich auf der Sitzgarnitur neben ihm. Er hatte sich im Lauf des Abends großzügig am Getränkebüfett bedient. Der Abschied von seinem Arbeitsleben konnte ihm so leicht nicht fallen, wie er behauptete.
»Einen Cognac vielleicht, Dr. Hoffmann?«
»Vielleicht einen Grappa für die Bettschwere.«
Professor Kindel schenkte mit leichtem Zittern ein, das Glas voll bis zum Rand. Sich selbst gönnte er einen Cognac.
»Tut mir leid, Doktor. Den müssen Sie vorsichtig trinken«, seine Stimme war leicht verwaschen, »... vorsichtig ... vorsichtig vorgehen, keine übereilten Sachen, ist das A und 0 in der Medizin.
Ich war geliefert. Kindel würde mir jetzt mit geschätzten eineinhalb Promille die Summe seiner medizinischen Lebenserfahrungen anvertrauen. Warum hatte ich Idiot mir keinen Anruf von der Klinik bestellt!
»Natürlich ist unsere Personaldecke angespannt. Keine Frage, ihr Doktors seid wirklich fleißig. Um so mehr müßt ihr euch auf das Wesentliche konzentrieren. Ihr müßt lernen, Wichtiges und Unwichtiges zu sortieren.«
»Die Unterscheidung ist nicht immer leicht, Professor.«
»Da haben Sie recht, Herr Hoffmann. Aber ich höre zum Beispiel, Sie nehmen sich viel Zeit, um nach einer bestimmten Akte zu suchen?«
Die Buschtrommeln in unserer Klinik sind erstaunlich. wie hatte Kindel von meiner Suche nach Mischas Akte gehört? Immerhin, genug Wind hatte ich gemacht. Patientenarchiv, Personalabteilung, Bredow, alle persönlich besucht. Er machte eine Pause, aber ich wartete ab. Er sah mich nicht an und hatte jetzt die Stimme etwas gesenkt.
»Sie wissen, ich bin nicht mehr Ihr Chef, ich kann Ihnen keine Anweisungen geben.«
»Was ist mit dieser Akte?«
Er nickte eine Weile stumm vor sich hin. In ein paar Jahren würde er das wahrscheinlich ständig machen, im Moment schien es mehr eine Konzentrationsübung.
»Ich höre, es geht um einen Patienten, der tot ist. Das meine ich doch, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden.
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