Die Saat der Bestie (German Edition)
irgendwo hinter ihr steht und ihren Körper betrachtet, widert sie an.
Er kann mich sehen.
Sie erinnert sich an eine Filmszene: Eine junge Frau alleine mit dem Serienkiller, gefangen in der Dunkelheit eines Kellers. Der Psychopath trug ein Nachtsichtgerät, wie es das Militär benutzt. Die Szene war aus der Sicht des Killers gedreht und hatte in Sam ein beklemmendes Gefühl ausgelöst, als sie sich den Film zusammen mit Mike angesehen hatte. Der Keller in der Wohnung des perversen Killers war durch das Nachtsichtgerät in grünes, körniges Licht getaucht worden. Genauso stellt sich Sam ihren eigenen nackten und verschmutzten Körper aus der Sicht des Fremden vor.
Der Unbekannte scheint ebenfalls eine solche Brille zu tragen, denn er bewegt sich sicher und effizient in der Dunkelheit.
Sam starrt in die Schwärze, in die Richtung, in der das alte Holzregal an der Wand steht. Weiter kann sie ihren Körper nicht drehen.
Ich muss mich zusammenreißen , denkt sie und bemüht sich, den Worten in ihrem Kopf einen ruhigen Klang zu verleihen, doch es will ihr nicht gelingen. Selbst ihre Gedanken atmen zu schnell.
Sam leckt sich über die trockenen Lippen, schluckt und schließt die Augen. Sie konzentriert sich auf ihre Atmung, versucht, diese unter Kontrolle zu bekommen.
Der Wirbel ihrer Gedanken beginnt, sich zu verlangsamen, doch die Bilder, die sie hinter ihrer Stirn sieht, sind immer noch grauenvoll und nicht dazu geeignet, ihre Angst einzudämmen.
Sie hält die Augen geschlossen, versucht, an Mike zu denken – und an David. Der Nachmittag am Anlegesteg, der Geruch des Flusses und das Funkeln der Wellen im Sonnenlicht. Da war ein Reh auf der anderen Seite, und David hatte ihr mit seiner warmen und ruhigen Stimme von den Tieren erzählt, die sich manchmal in die Stadt verirrten. Sie hatte ihm von Maria und Bud erzählt, und davon, was Bud ihr angetan hatte.
David …
Sam denkt an die Nacht. Die Berührungen des heißen Fiebers auf ihrer Haut, den herben Geruch von David und den tiefen, warmen See aus Feuer, in den beide eintauchten, als es nur David und Sam gab und sonst nichts, das ihnen Angst machen konnte.
Sie beschwört diese Bilder wie die wertvollsten Erinnerungen ihres Lebens vor ihrem geistigen Auge empor. Ihre Hände umfassen diese Bilder, ziehen sie zu sich heran und drücken sie fest gegen ihre Brust, so wie ein Kind seinen Teddybären in der Nacht an sich pressen würde. Sam will diese Bilder spüren, sie riechen und schmecken und sich von ihnen trösten lassen.
Ihre Atmung geht langsamer, sie dreht sich wieder nach vorn, öffnet die Augen und stiert blind in die Nacht. Ihr Körper ist eine einzige Wunde.
Sie weiß, dass sich vor ihr die Mauer des Kellers befindet. Dunkle, unbehandelte Steine, zusammengehalten von porösem Mörtel, der an manchen Stellen herausgebrochen ist.
Die Mauer ist vor ihr, der Fremde hinter ihr.
Die Welt hört auf, sich zu drehen, ihr Orientierungssinn kehrt zurück. Furcht steigt empor, doch diese Furcht ist ein Instinkt; ein uraltes Gespür, das ihre Sinne schärft.
Sie lässt den Kopf auf die Brust sinken und schließt erneut die Augen. Jetzt gibt es nur noch sie und die Dunkelheit – und das, was sie durch den schwarzen Vorhang anstarrt.
Sie holt tief Luft, schmeckt den Gestank in ihrem Mund wie feuchte Watte.
»Was willst du von mir?«
Ihre Stimme klingt fester, als sie gedacht hat, fast schon hart. Die Worte helfen ihr, sich noch ein klein wenig mehr zu beruhigen. Ihr Herz hämmert noch immer ein wildes Stakkato in ihrer Brust, doch Sam hat sich unter Kontrolle, was sie selbst am meisten überrascht. Gefesselt in völliger Dunkelheit, nackt, in ihren eigenen Ausscheidungen stehend, zusammen mit einem scheinbar Wahnsinnigen, der sie durch das Dunkel hindurch anstiert. Sie beschließt, sich keine Gedanken darüber zu machen, weshalb sie noch nicht den Verstand verloren hat. Dazu würde sie noch genügend Zeit haben, wenn es so weit ist. Bald, vielleicht sogar sehr bald.
Als sie keine Antwort bekommt, dreht sie den Kopf in Richtung des Holzregals. Ihr Oberarm riecht sauer. Die Haut fühlt sich rau und schmutzig an ihrer Wange an.
»Kannst du plötzlich nicht mehr sprechen?«
Der Klang ihrer Stimme wird kälter. Sie weiß, dass sie ein riskantes Spiel spielt, doch was kann schlimmer sein, als wie ein Stück Vieh in einem perversen Schlachthaus an einen Dachbalken gefesselt zu sein? Er kann dich töten , schießt ihr durch den Kopf, doch der Gedanke verpufft wie
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